Gegen Gedankenlosigkeit
Impuls für den Erntedank-Sonntag von Sabine Bullinger
Sabine Bullinger, Landesbauernpfarrerin der Landeskirche, denkt in ihrem Impuls über die heutige Bedeutung des Erntedankfestes nach. Ist das Fest so noch zeitgemäß und wie kann Danken gegen die Gedankenlosigkeit helfen? Impuls zum Predigttext aus 1. Timotheus 4,4-5.
1. Timotheus 4,4-5 (in Auszügen) Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.
Schön sehen sie aus – unsere Kirchen im Schmuck der Erntedankgaben: Früchte aller Art, leuchtende Blumen, ein Ährenstrauß und ein großer Laib Brot. Das Herz geht einem auf und doch wirkt Erntedank wie ein wenig aus der Zeit gefallen. Ist das noch stimmig? In unseren Supermärkten gibt es doch immer alles.
Warum dieses Fest im Kirchenjahr, das an eine vergangene Lebenswelt erinnert? Mit alten Liedern, die etwas widerspiegeln, was den modernen Menschen eigentlich nicht mehr entspricht. Zum Beispiel: „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.“ Wäre es nicht realistischer zu singen: „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Menschen Hand?“
Wenn wir heute Erntedank feiern, dann ist das ein Stück Widerspruch gegen den Zeitgeist. Erntedank will uns zum Nachdenken bringen – über das Leben, was wir brauchen, wem wir es verdanken. Über Gott. Über das Danken und die Unbedachtsamkeit.
Zwei Gedanken aus dem Predigttext. Zum einen: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.“ Ein Satz, der an Gottes Lob über die gerade geschaffene Welt erinnert. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Alles optimal – Himmel, Erde, Luft und Meer, vom kleinsten Einzeller bis hin zum Menschen. Alles sehr gut? Da können wir Heutigen doch nur den Kopf schütteln. Was hat der von Gott geschaffene Mensch nicht alles angerichtet? Doch unser Predigttext klagt nicht an, zählt keine Verfehlungen auf, sondern macht einen Vorschlag: Denkt an den Anfang. Die Welt ist von Gott gewollt. Gott hat der Natur eine Ordnung gegeben. Alles soll wachsen, sich entfalten und reifen – auch die Menschen mit ihren Fähigkeiten und Gaben, mit ihrer Liebe füreinander und ihrer Verantwortung für so viele Lebensbereiche. Das ist die Grundlage, auf die Gott unser Leben stellt.
Zum anderen: „Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird.“ Nichts? Wo kämen wir denn hin, wenn alles erlaubt wäre? Denken wir nur an unseren Konsum, unser Essverhalten, unsere Mobilität. Das geht doch auf Kosten von anderen. Alles erlaubt, weil man Gott ja dafür danken kann?
Gerade die dankbare Haltung gegenüber Gott hilft, zweierlei auseinanderzuhalten: das, was Gott gut geschaffen hat, und das, was Menschen schlecht gemacht haben. Wer dankt, kann nicht gedankenlos und gleichgültig bleiben. Wer Gott dankt für die Fürsorge im eigenen Leben, kann den Sorgen der Mitmenschen gegenüber nicht einfach die Augen verschließen. Deshalb ist es eine gute Tradition, dass die Erntegaben weitergereicht werden. Und jedes Tischgebet, jedes dankbare Freuen über das Schöne vor unseren Augen lässt bewusstwerden, wie viele dazu beigetragen haben und nicht vergessen werden dürfen. Danken hilft gegen Gedankenlosigkeit.
Vielleicht muss man den Satz aus dem Predigttext abwandeln: Es ist verwerflich, immer nur alles ohne Danksagung zu empfangen. Wer dankt, wechselt den Blickwinkel. Sieht die Welt mit den Augen Gottes. Das Erntedankfest erinnert uns jedes Jahr neu ans Danken und die Gedankenlosigkeit. Die Freude über das Gewachsene soll den Blick auf Gott öffnen. „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.“ Eine neue Perspektive entsteht. Es gibt Gottes Segen im eigenen Leben. Und Menschen können für andere zum Segen werden.