Quartiersarbeit: Wenn die Kirche Menschen zusammenbringt
„WEIL wir schon da sind”: Unter diesem Motto leisten Kirche und Diakonie Quartiersarbeit in Esslingen-Weil
Wenn das Zusammenleben stimmt, gibt es weniger soziale Spannungen. Kirche und Diakonie setzen sich deshalb für mehr Zusammenhalt in Stadtteilen ein. Sie machen Angebote, bei denen die Bewohnerinnen und Bewohner zusammenkommen können – so wie in Esslingen-Weil.
Esslingen-Weil ist ein Stadtteil im Wandel. Bis vor kurzem war ein Drittel der rund 1.200 Bewohner im Rentenalter. „In den 60er- und 70er-Jahren sind sie als Arbeiter in das Viertel gezogen, heute sind viele von ihnen 80 oder 90 Jahre alt“, sagt Kurt Hilsenbeck. Doch vor rund zwei Jahren hat die Stadt dort ein neues Quartier gebaut. In den Stadtteil sind seit dem Sommer 2021 rund 500 Menschen zugezogen, Familien, Alleinerziehende und viele Kinder im Baby-, Kleinkind- und Grundschulalter.
In ein neues Quartier im Esslinger Stadtteil Weil sind in kurzer Zeit viele junge Familien gezogen
Beide Gruppen zusammenzubringen? Eine Herausforderung, fand die Kirchengemeinde. „Wir haben uns an die Stadt gewendet und gesagt, dass wir hier etwas tun müssen“, erklärt Hilsenbeck. Außerdem haben sich der Kreisdiakonieverband, die Kirchengemeinde und der Kirchenbezirk zusammengetan. Dem Kreisdiakonieverband gelang es, Gelder zu beantragen, und er konnte Hilsenbeck als Quartiersmanager anstellen.
Ein Willkommensprozess wurde angestoßen, um Bewohnerinnen und Bewohner und Neuankömmlinge zu vernetzen
An einem Runden Tisch mit den anderen Akteuren und Einrichtungen in Weil, darunter den Maltesern und einer Familienbildungsstätte, hat die Projektgruppe dann eine „Willkommensstrategie“ entwickelt: Wie können die Zugezogenen gut in den Stadtteil integriert werden? Wie gelingt es, dass Alteingesessene und Neuankömmlinge zusammenwachsen?
„Wir haben die Zugezogenen bei einem Willkommensfest auf dem Parkdeck des Neckarcenters begrüßt“, sagt Hilsenbeck. Auch die Anwohnerinnen und Anwohner wurden eingeladen. Sie hat einen Tag der Offenen Tür mit einem Kindersachen-Flohmarkt veranstaltet. Und einen Digi-Walk fürs Handy entwickelt, also einen Kennenlern-Spaziergang durch Weil. Viele Zugezogene hat die Kirche mit Willkommensbesuchen begrüßt. Und auch das Weiler Straßenfest, das schon seit mehr als 30 Jahren von der Kirche gefeiert wird, hat diese zu einem Willkommensfest mit Neuzugezogenen und Alteingesessenen umgestaltet. Rund 300 Menschen saßen in der gesperrten Allee vor der Kirche zusammen auf Bänken. „Soziales Miteinander muss organisiert werden, das ist nicht einfach so da“, sagt Hilsenbeck.
Beim Angebot „Torte im Hof“ können die Bewohner des neuen Quartiers zusammenkommen
Schon bald nach dem Einzug kam es zu Spannungen im neuen Quartier. Hilsenbeck erklärt: „Weil diese kleine Fläche in der Mitte die Spielfläche für 300 Kinder ist. Und wenn dort 20 oder 30 Kinder gleichzeitig Fußball spielen, ist das einfach laut.“ Ein Teil der Menschen lebt in Eigentumswohnungen in Reihenhäusern, ein Teil in Sozialwohnungen. Weil die Kita erst ein Jahr nach Einzug der Familien eröffnet wurde und von vier versprochenen Kita-Gruppen wegen Personalproblemen bis heute erst eine besteht, sind viele Bewohner frustriert, die andere Erwartungen an das Quartier hatten und daheimbleiben müssen, obwohl sie auf den Doppelverdienst angewiesen sind, um die neue Wohnung abzubezahlen. Auch eine geplante Brücke über die B10, über die man auf direktem Weg zum Bahnhof nach Mettingen kommt, wurde bisher nicht gebaut.
„Meine Idee war, die Probleme anzugehen, indem ich die Menschen im Hof zusammenbringe und zum Kuchenessen einlade“, sagt Quartiersmanager Kurt Hilsenbeck. Die Bewohnerinnen und Bewohner können sich bei „Torte im Hof“ mitten im neuen Quartier treffen. Auch das Spielmobil war schon dabei und hat ein Programm für Kinder angeboten.
Neckar und B10 trennen Esslingen-Weil von der restlichen Stadt
Esslingen-Weil ist durch die B10, eine vierspurige Straße, und den Neckar von Esslingen getrennt. Hier liegt das Neckarcenter, das in den 70er-Jahren als Einkaufszentrum vor den Toren der Stadt gebaut wurde.
„In Weil findet nichts statt, die Weiler sind es auch gar nicht gewohnt, dass man dort eine kulturelle Veranstaltung besucht“, erklärt Quartiersmanager Kurt Hilsenbeck. Es gebe keinen Arzt, keinen Physiotherapeuten und keinen Bäcker, der sonntags offen habe, genauso wenig wie ein Café, in das man sich setzen könne. Nicht einmal einen Dorfplatz.
In der Lukaskirche im Stadtteil befindet sich das Quartiersbüro
In der Lukaskirche in Weil, in der sich auch das Quartiersbüro befindet, gibt es deshalb noch mehr Angebote. Jeden Dienstag kocht Quartiersmanager Kurt Hilsenbeck zusammen mit Ehrenamtlichen einen Mittagstisch. Vor der Kirche wurden „verWeilbänke“ aufgestellt. Außerdem gibt es öffentliches WLAN vom Kirchendach bis auf die andere Straßenseite, wo sich eine Bushaltestelle befindet und häufig Menschen warten.
Ein Selbstverteidigungskurs für Mädchen findet in der Kirche statt, aber auch eine Bewegungsgruppe für Senioren. Eine Gruppe mit Menschen mit Behinderung trifft sich dort, und die Familienbildungsstätte macht Angebote wie eine Mutter-Kind-Gruppe oder einen Kurs für Erziehungsfragen für junge Eltern. „Es wäre natürlich auch toll, wenn Alte und Junge gemeinsam Dinge entwickeln würden“, sagt Hilsenbeck. Er stellt sich vor, dass zum Beispiel Senioren Kindern vorlesen könnten.
Quartiersmanager Kurt Hilsenbeck ist Ansprechpartner für die Nöte und Sorgen der Menschen
Der Quartiersmanager sieht sich als „Ermöglicher“. Er will die Menschen im Stadtteil dabei unterstützen, selbst Ideen umzusetzen. Im Quartiersbüro ist Hilsenbeck für die Bewohner des Stadtteils ansprechbar. Häufig kommen sie auch vorbei, wenn sie auf den Bus warten. Hilsenbeck will sie als Lotse unterstützen, wenn sie praktische Probleme haben. Ein Mann mit Fluchthintergrund hat ihn aufgesucht, der an sein Energieunternehmen jeden Monat Geld für zwei Stromverträge überweisen muss und aus den Verträgen nicht herauskommt. Und eine eritreische Frau hat sich kürzlich an ihn gewendet, weil sie vor einer Sprachkurs-Prüfung eine Person gesucht hat, die ihr Nachhilfe gibt. Eine andere Frau bemerkte eine starke Geruchsbelästigung in den Salucci-Höfen – der Quartiersmanager half ihr, geeignete Stellen zur Hilfe zu holen, um die Ursache herauszufinden: Zwei Meter hoch stand Wasser in den Abwasserschächten.
Der Stadtteil wird sich weiter verändern – Vielleicht erhält er bald einen Stadtteilplatz
Weil wird in den nächsten zehn Jahren vermutlich der jüngste Stadtteil von Esslingen werden. Ein weiteres großes Baugebiet für 500 bis 600 Zuziehende wird gerade geplant. Quartiersmanager Kurt Hilsenbeck wünscht sich, dass die Menschen sich in Weil zu Hause fühlen, gerne dort leben und miteinander vernetzt sind.
Zurzeit denken die verschiedenen Einrichtungen in Weil gemeinsam darüber nach, wie es wäre, einen Stadtteilplatz zu bauen, an dem sich Menschen aufhalten können, wo ein Markt stattfinden kann, ein Stadtteilfest gefeiert werden und Mütter ihre Kinder stillen können. Und gehen damit einen weiteren Schritt hin zu einem lebendigen Quartier mit einer guten Nachbarschaft.
Quartiersarbeit von Kirche und Diakonie
Das Projekt in Esslingen-Weil wird gefördert von der Deutschen Fernsehlotterie.
In Landeskirche und Diakonie gibt es Quartiersarbeit mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten, etwa mit Menschen mit Behinderung, die besser integriert werden sollen, älteren Menschen oder verschiedenen Generationen. Auch Projekte gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und mit dem Schwerpunkt auf der Arbeit mit Wohnungslosen gibt es.
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