| Diakonie

Erste Hilfe am Hauptbahnhof in Stuttgart

Wie die Bahnhofsmission Menschen rund um den Stuttgarter Bahnhof unterstützt

In der Ferienzeit ist am Stuttgarter Bahnhof besonders viel los. Die Bahnhofsmission kümmert sich um alle, die Hilfe benötigen – sei es, weil sie einen unterstützenden Arm beim Umsteigen brauchen oder gestrandet sind. Marie Schächtele hat die Mitarbeitenden begleitet.

Otto Haas, Ehrenamtlicher bei der Bahnhofmission Stuttgart, ist froh, dass es eine Einrichtung wie die Bahnhofsmission gibt.
Otto Haas, Ehrenamtlicher bei der Bahnhofmission Stuttgart, ist froh, dass es diese Einrichtung gibt.Bild: Evangelische Landeskirche in Württemberg

Otto Haas verlässt den blauen Container, in dem sich die Bahnhofsmission Stuttgart befindet. Der Ehrenamtliche wirft einen Blick auf einen Zettel, der er in der Hand hält, dann schaut er suchend nach den Gleisnummern. Er soll einer blinden Frau helfen, die Unterstützung beim Umsteigen benötigt und deshalb bei der Bahnhofsmission einen Termin für eine Umsteigehilfe vereinbart hat.

Um 14.32 Uhr soll die Frau auf Gleis 4 mit der S-Bahn aus Kirchheim ankommen. Otto Haas stellt sich an den Anfang des Gleises, damit er sie gleich erkennt. Als die S-Bahn einfährt, schaut er noch einmal auf das Blatt Papier, eine Art Formular, das handschriftlich ausgefüllt ist: „Blindenstock“, „circa 1,65 Meter groß“ steht darauf. In einem Computer-Programm können die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission vor dem Abholen nachschauen, ob sich an der Wagenreihung etwas geändert hat.

Weil Ferien sind und viele Menschen mit dem 9-Euro-Ticket Ausflüge machen, ist am Stuttgarter Hauptbahnhof besonders viel los

An der ersten Tür helfen Reisende einer Frau beim Aussteigen. Otto Haas geht schnell hin und bietet ihr an, dass sie sich bei ihm unterhaken kann. Beide unterhalten sich, während er mit ihr an den Gleisen vorbei durch den hektischen Bahnhof läuft. Weil Ferien sind und viele Menschen mit dem 9-Euro-Ticket Ausflüge machen, ist besonders viel los. Sie biegen in einen ruhigen Gang ein und kommen am Container der Bahnhofsmission an. Hier kann die Frau in einer Sitzecke warten, bis ihr Anschlusszug kommt. Otto Haas bietet ihr etwas zu trinken an.

Ein „offenes Ohr“ für alle

„Wir haben ein offenes Ohr für alles, das die Menschen mitbringen“, sagt Antje Weber, Leiterin der Bahnhofsmission Stuttgart. Auch Reisenden, die Orientierungsprobleme haben, hilft die Einrichtung, außerdem Personen, die sich am Bahnhof aufhalten. „Das können Wohnungslose sein, aber auch Menschen, deren Wohnung zu eng ist oder die einsam sind“, sagt Antje Weber. Viele davon suchen bei der Bahnhofsmission Ansprechpartner – häufig benötigen sie jemanden, der ihnen zuhört.

Antje Weber leitet die Bahnhofsmission Stuttgart. Sie erzählt, wie lange es dauert, Vertrauen zu den Menschen aufzubauen, die sich am Bahnhof aufhalten.
Antje Weber leitet die Bahnhofsmission Stuttgart. Sie erzählt, wie lange es dauert, Vertrauen zu den Menschen aufzubauen, die sich am Bahnhof aufhalten.Bild: Evangelische Landeskirche in Württemberg

Die Bahnhofsmission bietet Menschen, die sich viel am Bahnhof aufhalten, an, sich auszuruhen

In der Sitzecke bei der Bahnhofsmission können sich die Menschen eine Weile aufhalten. Dort gibt es Tee und gegen einen kleinen Geldbetrag Kaffee, Snacks, Süßes und Spielsachen für Kinder. Außerdem geben die Mitarbeitenden Decken, Schlafsäcke und Isomatten aus.

Vor der Bahnhofsmission fragt eine Mitarbeiterin eine ältere Frau an, ob sie sich nicht zu ihnen hineinsetzen und ausruhen wolle, doch diese lehnt ab. Die Frau hält sich seit langer Zeit rund um den Bahnhof auf. Die Bahnhofsmission habe ihr geholfen, eine Unterkunft zu finden, erzählt Antje Weber. Und doch dauere es lange, Vertrauen zu den Menschen aufzubauen, die sich häufig am Bahnhof aufhielten.

In einem unscheinbaren Container an Gleis 1 werden Rollstühle aufbewahrt

In einem Container an Gleis 1 hat die Bahnhofsmission für Reisende Rollstühle deponiert. Die Mitarbeitenden bringen ankommende Menschen zum Taxistand oder helfen älteren Personen, deren Gepäckstücke zu tragen. In der Schulzeit helfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedes Wochenende blinden und sehbehinderten Internatsschülern, die nach Hause fahren, sicher durch den Bahnhof zu kommen.

Als vor etwas mehr als einem Jahr die Ahr aus den Ufern getreten ist und Städte und Dörfer in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen überflutete, wirkte sich das auch auf den Stuttgarter Hauptbahnhof aus, weil das Reisenetz bundesweit sei, wie Antje Weber erklärt. „Wir haben einem Ehepaar aus Köln geraten, nach dem Unwetter zuerst noch hier zu bleiben“, erinnert sie sich. Als es im Hauptbahnhof Stuttgart einen Oberleitungsschaden gab, half die Bahnhofsmission einer älteren Frau, die eigentlich ihre Familie treffen sollte und telefonisch nicht erreichbar war.

Die Landessynode hat bei der Sommersynode 2022 eine Verlängerung und Erhöhung des Zuschusses an die Bahnhofsmission von insgesamt 331.000 Euro von 2023 bis 2027 beschlossen.

Ehrenamtliche leisten einen großen Beitrag zur Arbeit der Bahnhofsmission

„Wir gehen auch durch den Bahnhof und schauen, ob jemand Hilfe braucht“, sagt Otto Haas. Er engagiert sich seit drei Jahren als Rentner bei der Bahnhofsmission. „Ich bin froh, dass es so eine Einrichtung gibt“, sagt er. Die Menschen, denen die Bahnhofsmission helfe, seien dankbar darüber. Am Anfang hat er mehrfach hospitiert und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleitet, außerdem haben ihm die Hauptamtlichen viele Abläufe erklärt.

In einem Container an Gleis 1 hat die Bahnhofsmission für Reisende Rollstühle deponiert.
In diesem Container an Gleis 1 hat die Bahnhofsmission für Reisende Rollstühle deponiert. Bild: Evangelische Landeskirche in Württemberg

Die Arbeit bei der Bahnhofsmission: „Abwechslungsreich“ – und „unvorhersehbar“

Es ist kurz nach drei Uhr nachmittags. Otto Haas hat gerade seine Schicht beendet. Seit 9 Uhr war er im Dienst. Eine hauptamtliche Mitarbeiterin der Bahnhofsmission begleitet die sehbehinderte Frau zu einem ICE in Richtung Hannover. „Man darf keine Scheu haben, Menschen beiseitezuschieben“, sagt sie.

Der reservierte Platz der Frau ist ganz vorne. Sie klappt ihren Blindenstock aus, den sie zusammengeklappt in der Hand gehalten hat, und die Mitarbeiterin reicht ihr den großen Koffer in den Zug. Mit hinein dürfen die Mitarbeitenden aus rechtlichen Gründen nicht.

Ein Mann spricht die Mitarbeiterin auf Englisch an. Er erkennt am leuchtend blauen T-Shirt, dass sie am Bahnhof arbeitet. Am Handy sucht sie für ihn einen Zug heraus. „Die Arbeit ist abwechslungsreich“, erklärt sie. Außerdem lernt man viele Menschen kennen. Doch die Aufgaben der Bahnhofsmission sind auch „unvorhersehbar“, sagt Antje Weber.

Ein Ehrenamtlicher der Bahnhofsmission hilft einer jungen Frau beim Umsteigen.
Ehrenamtlicher Otto Haas hilft einer blinden Frau, im vollen und hektischen Bahnhof umzusteigen.Bild: Evangelische Landeskirche in Württemberg

Bahnhofsmissionen – „Seismografen der Gesellschaft“

Bahnhofsmissionen – es gibt sie in vielen Städten – befinden sich mittendrin im Geschehen der Stadt. Sie sind „Seismografen“ der Gesellschaft, erklärt die Leiterin der Bahnhofsmission Stuttgart, Antje Weber. Gesellschaftliche Zustände sind an den Bahnhöfen besonders stark spürbar. Nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine kamen ukrainische Familien zuallererst an den Bahnhöfen an. Und auch 2015 und 2016 half die Bahnhofsmission vielen nach Deutschland geflüchteten Menschen zuerst. Antje Weber rechnet damit, dass im Herbst mehr Menschen ihre Hilfe benötigen werden, weil sie wegen der steigenden Heizkosten von Armut betroffen sind.

Antje Weber, Leiterin der Bahnhofsmission Stuttgart, zeigt Spenden.
Die Bahnhofsmission ist auf Spenden angewiesen. Hier zeigt Leiterin Antje Weber Spenden, die die Bahnhofsmission in dem Container am Stuttgarter Hauptbahnhof aufbewahrt.Bild: Evangelische Landeskirche in Württemberg

Ein geschützter Raum nur für Frauen

Daniela Stumpe, Leiterin der Bahnhofsmission Tübingen, kann bestätigen, dass die Arbeit der Bahnhofsmission anders ist als die anderer Beratungsstellen. „Wir bekommen hier vieles mit, was in anderen sozialen Einrichtungen noch nicht angekommen ist“, bestätigt sie. „Es gibt immer nur Strukturen für Probleme, die schon bekannt sind.“ Die Bahnhofsmission stellt deshalb den Kontakt zu anderen Beratungsstellen her.

„Die Anliegen der Menschen, um die sich die Bahnhofsmission kümmert, sind sehr unterschiedlich, das ist eine Herausforderung“, hat Daniela Stumpe festgestellt. Viele Menschen benötigen am Bahnhof Hilfe. Wem hilft man, wenn man sich entscheiden muss, wem nicht? Wie können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Vertrauen zu den Menschen aufbauen?

Die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission Tübingen stellen sich häufig in die Bahnhofshalle, um sichtbar zu sein, weil auch eine Hemmschwelle besteht, zu ihnen zu kommen und um Hilfe zu bitten. Für Gäste, die sich ausruhen wollen, gibt es in der Bahnhofsmission Tübingen nur zwei Plätze. Wen können sie zusammenbringen, wer könnte sich unwohl fühlen?

Einmal im Monat mittwochabends bietet die Tübinger Bahnhofsmission einen geschützten Raum nur für Frauen an und spricht dafür auch Frauen an, die sich zu dem Zeitpunkt am Bahnhof aufhalten.

Leiterin Antje Weber hat für die Stuttgarter Bahnhofsmission einen besonderen Wunsch: einen Raum der Stille am Bahnhof, in dem Menschen zur Ruhe kommen können. Doch das sei am neuen Stuttgarter Hauptbahnhof aus Platzgründen nicht möglich, bedauert sie.


Die Bahnhofsmission

  • Die Bahnhofsmission wird auf evangelischer Seite von der Organisation VIJ und auf katholische Seite von In Via getragen.
  • Die Bahnhofsmission Mobil begleitet Reisende, etwa Kinder getrennter Eltern, im Zug.
  • Ein Mitarbeiter der Bahnhofsmission Stuttgart hat eine Fortbildung der Bahnhofsmission als „Mutmacher“ abgeschlossen: Er ist besonders dazu da, im Gespräch für Menschen am Bahnhof da zu sein.
  • Neun hauptamtliche Personen und rund 50 Ehrenamtliche arbeiten bei der Bahnhofsmission Stuttgart. In Tübingen ist es nur eine Hauptamtliche.
  • Ehrenamtliche werden gesucht, besonders seit Beginn der Corona-Pandemie.
  • Die Bahnhofsmission Stuttgart ist auf Spenden angewiesen. Spendenkonto: Kontoinhaber: Bahnhofsmission Stuttgart, Bank: BW-Bank, IBAN: DE11 6005 0101 0002 830027 BIC: SOLADEST 600

Mehr News

  • Datum: 29.03.2024

    Karfreitag: Bruchstücke des Lebens

    „Ich kann die Gebrochenheit in meinem Leben zulassen, weil ich weiß, dass auch ich mit all meiner Bruchstückhaftigkeit, auch mit meinem Scheitern einfach in Gottes Liebe aufgehoben bin“, sagt Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl in diesem SWR-Gespräch über Karfreitag.

    Mehr erfahren
  • Datum: 27.03.2024

    „Leben ist ein unverfügbares Geschenk“

    In seiner Osterpredigt weist Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl auf die Heiligkeit des menschlichen Lebens hin und warnt vor gesellschaftlichen Risiken: „Eine Gesellschaft, die meint, sich selbst das Leben zu verdanken, verliert am Ende die Ehrfurcht vor dem Leben.“

    Mehr erfahren
  • Datum: 27.03.2024

    Osterbotschaft: „Sieg des Lebens“

    „Ostern ist der Sieg des Lebens über den Tod, der Sieg des Lichtes über die Dunkelheit“, sagt Landesbischof Gohl in seiner Osterbotschaft. Im Video nimmt er Sie mit auf den Birkenkopf bei Stuttgart, wo nach dem 2. Weltkrieg große Mengen Fassadentrümmer aufgeschüttet wurden.

    Mehr erfahren
  • Datum: 27.03.2024

    Mit den Sinnen feiern: Ostern mit den Konfis

    Ostern ist kein einfaches Fest. Wie man dieses zentrale Fest der Christenheit Konfirmanden und Konfirmandinnen nahebringt, davon erzählen Pfarrer Friedemann Bauschert (Stephanuskirche Tübingen) und Pfarrer Martin Trugenberger, Dozent für Konfirmandenarbeit am ptz.

    Mehr erfahren
  • Datum: 27.03.2024

    Spenden für humanitäre Hilfe im Nahen Osten

    Nach den Angriffen der Hamas auf die israelische Bevölkerung ist die humanitäre Lage der Menschen in den betroffenen Gebieten dramatisch. Medikamente, Wasser und Lebensmittel fehlen. Dr. Annette Noller, Vorstandsvorsitzende der Diakonie Württemberg, bittet um Hilfe.

    Mehr erfahren
  • Datum: 27.03.2024

    Perspektiven für christlich-islamischen Dialog

    Dr. Friedmann Eißler, Islambeauftragter der Landeskirche, erklärt in einer aktuellen Stellungnahme, was den interreligiösen Dialog gegenwärtig so komplex macht.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.03.2024

    ACK-Broschüre über Nachhaltigkeit

    Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Baden-Württemberg fordert in den „Schöpfungs-Leitlinien“ nachhaltige Lebensbedingungen für die ganze Welt. Die erstmals 2002 herausgegebene Broschüre ist nun in einer überarbeiteten Neuauflage erhältlich.

    Mehr erfahren
  • Datum: 25.03.2024

    beraten & beschlossen Frühjahrssynode 2024

    Videos, Bilder, Berichte - unser digitales Synoden-Magazin gibt multimedial Einblick in die Frühjahrstagung der Landessynode am 15. und 16. März. Und um keine Ausgabe zu verpassen, können Sie sich hier für unseren „beraten & beschlossen“ Newsletter registrieren.

    Mehr erfahren
  • Datum: 25.03.2024

    Prälatur-Gottesdienste in der Karwoche und zu Ostern

    Die Regionalbischöfinnen und Regionalbischöfe der Landeskirche feiern an Gründonnerstag, Karfreitag, Ostersonntag und Ostermontag Gottesdienste in ihrer Prälatur. Hier finden Sie die Terminübersicht.

    Mehr erfahren
  • Datum: 25.03.2024

    FAQ zu Ostern: Auferstehung für Zweifelnde

    Ohne Auferstehung gäbe es kein Ostern. Doch woran glauben Christinnen und Christen da eigentlich, und was ist, wenn einem dieser Glaube schwerfällt? Was sagt die Bibel dazu? Pfarrer Dan Peter, Sprecher der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, gibt Antworten.

    Mehr erfahren
  • Datum: 22.03.2024

    Dr. Fabian Peters wird Dezernent für Finanzmanagement & Informationstechnologie

    Dr. Fabian Peters leitet künftig das Dezernat für Finanzmanagement und Informationstechnologie im Stuttgarter Oberkirchenrat. Der Landeskirchenausschuss hat ihn am Donnerstag, 21. März, in dieses Amt gewählt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 22.03.2024

    Der Passion und Auferstehung Jesu nachgehen

    Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern sind Höhepunkte im Kirchenjahr. Evangelische Kirchengemeinden und Einrichtungen erinnern mit Ostergärten und -wegen an Jesu Leiden, Tod und Auferstehung.

    Mehr erfahren
Mehr laden