| Landeskirche

Ausbau der NS-Gedenkstätte Grafeneck

Die vier großen Kirchen im Land helfen mit 200.000 Euro

Gemeinsam unterstützen die vier großen Kirchen in Baden-Württemberg die Weiterentwicklung der NS-Gedenkstätte Grafeneck mit 200.000 Euro. Damit helfen die Kirchen bei Ausbau und Modernisierung des Schlosses, auf dessen Gelände die Gedenkstätte liegt.

In dem 2005 auf dem Gelände der Gedenkstätte erbauten Dokumentationszentrum finden Besucherinnen und Besucher die Dauerausstellung „Grafeneck 1940 – Krankenmord im Nationalsozialismus“.Bild: Gedenkstätte Grafeneck

Der derzeitige Eigentümer des Schlosses – die Samariterstiftung – hat keine Verwendung mehr für das Gebäude und überlässt es dem Träger der Gedenkstätte (Verein Gedenkstätte Grafeneck e.V.) kostenlos als Eigentum.

Die badische und die württembergische Landeskirche sowie die Diözese Rottenburg-Stuttgart und das Erzbistum Freiburg decken mit ihrer Unterstützung von jeweils 50.000 Euro über die Hälfte der Finanzierungslücke ab, die der Trägerverein schließen muss, um bereits zugesagte Mittel vom Bund (2,1 Mio. Euro) und vom Land (1,4 Mio. Euro) zu erhalten. Die Samariterstiftung steuert weitere 500.000 Euro bei. In Summe muss der Verein noch Eigenmittel in Höhe von 150.000 Euro aufbringen.

„Wehret den Anfängen!“

Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July (Stuttgart) würdigt im Namen der badischen und der württembergischen Landeskirche die Verdienste der Gedenkstätte und des Trägervereins: „Ich danke den Verantwortlichen der Erinnerungsstätte Grafeneck. Sie brauchen unsere Unterstützung, denn sie halten die Erinnerung an die ermordeten Menschen und ihre Biografien wach, die in der Zeit des Nationalsozialismus in Grafeneck planmäßig ermordet worden sind. Diese Menschen sind im Stich gelassen worden. Das Dokumentationszentrum zeigt die Fakten und erinnert uns heute daran, wohin Menschenverachtung führt: Am Anfang standen noch Worte und Parolen, am Ende unvorstellbar grausame Taten mitten in einer christlich geprägten Zivilisation. Diese Erinnerungen nehmen wir in unsere Auseinandersetzungen heute überall mit, wo es um Ausgrenzung und Herabwürdigung von Menschen geht: Wehret den Anfängen!“

„Beginn des industriellen Ermordens von Menschen“

Erzbischof Stephan Burger (Freiburg) erinnert an die Opfer aus dem Gebiet des Erzbistums Freiburg: „‚Grafeneck‘ steht als Synonym für den Beginn des industriellen Ermordens von Menschen, die nicht den Nützlichkeitskriterien der nationalsozialistischen Ideologie entsprachen. Menschen mit geistiger Behinderung ebenso wie psychisch Kranke wurden aus Einrichtungen, in denen sie Schutz und Betreuung gefunden hatten, dorthin verschleppt und umgebracht. Auch aus dem Erzbistum Freiburg erlitten zahlreiche wehrlose Mitmenschen dieses Schicksal, darunter allein fast 350 aus dem kirchlichen St. Josefshaus in Herten. Wenn die Gedenkstätte Grafeneck an diese grauenhaften Verbrechen erinnert, dann nicht zuletzt in der Absicht, dafür zu sorgen, dass sich Derartiges niemals und nirgendwo mehr wiederholt – wie notwendig dieses fortgesetzte Erinnern ist, zeigt uns das Weltgeschehen Tag für Tag aufs Neue.“

„Auseinandersetzung mit den hier verübten Gräueltaten“

Bischof Dr. Gebhard Fürst (Rottenburg) sagt über die Unterstützung durch seine Diözese: „Durch den geplanten Umbau des Schlosses Grafeneck ergibt sich die Möglichkeit zum Aufbau einer zeitgemäßen Bildungs- und Dokumentationsarbeit über die nationalsozialistischen Euthanasie-Verbrechen in Südwestdeutschland. Dieses Projekt unterstützt die Diözese Rottenburg-Stuttgart sehr gerne, denn für das Erinnern braucht es neben einem Ort vor allem auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit den hier verübten Gräueltaten.“

„Bekenntnis zur rechten Zeit durch die christlichen Kirchen in Württemberg und Baden“

Mike Münzing, 1. Vorsitzender des Vereins Gedenkstätte Grafeneck e. V. und Bürgermeister von Münsingen, dankt den vier Kirchen: „Ein klares Signal und ein deutliches Bekenntnis zur rechten Zeit durch die christlichen Kirchen in Württemberg und Baden. Zu einem Zeitpunkt, zu dem Fragen der Triage einhergehen mit Fragen der Effizienz, der Abwägung von Ressourcen ist es wichtig, Grafeneck nicht nur in seiner historischen Bedeutung zu sehen, sondern diesen Ort noch mehr als bisher zu einem Bildungsort zu hochaktuellen Fragen auszubauen. Dass uns hierbei Karlsruhe, Freiburg, Stuttgart und Rottenburg mit einem namhaften finanziellen Beitrag unterstützen, ist auch ein wichtiges Signal hinein in die Gesellschaft. Dafür sage ich meinen Dank im Namen aller Opfer Grafenecks, aber auch jener, die wir vor Missachtung, Ausgrenzung oder Bewertung ihres Lebens künftig schützen können. Denn Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. (1. Mose 1,27)“

Schloss Grafeneck, das dem Trägerverein der Gedenkstätte überlassen wurde und das nun ausgebaut und modernisiert werden soll.Bild: Gedenkstätte Grafeneck

Über die Gedenkstätte Grafeneck

Die Gedenkstätte Grafeneck im Landkreis Reutlingen ist mit jährlich rund 40.000 Besuchern die meistbesuchte Gedenkstätte für die Opfer der sogenannten Euthanasie zur Zeit des Dritten Reichs in Deutschland und Österreich. Es finden jährlich rund 350 Seminare statt. Zudem sind hier das  Archiv und die Bibliothek des Vereins untergebracht. Die räumlichen Kapazitäten der Gedenkstätte sind jedoch ausgeschöpft; die geplante Erweiterung ist dringend nötig.

Auf dem Gelände des Schlosses errichtete das Deutsche Reich die erste Tötungsanstalt für geistig beeinträchtige und psychisch kranke Menschen und ermordete 1940 dort binnen weniger Monate 10.654 Menschen aus Süd- und Westdeutschland. Zuvor hatte die Samariterstiftung auf dem Gelände ein Heim betrieben, das dann aber von den Nazis für ihre Zwecke beschlagnahmt wurde. 1947 nahm die Samariterstiftung ihre Arbeit im Schloss mit und für geistig oder psychisch beeinträchtigte Menschen wieder auf. Ab den 70er Jahren bemühte sich ein wachsender Kreis engagierter Menschen um die historische und pädagogische Aufarbeitung der Geschichte.

Die Gedenkstätte in ihrer heutigen Form wurde 1990 eröffnet. Mitglieder des Vereins sind Privatpersonen, Kirchengemeinden und Kommunen sowie Einrichtungen der Diakonie und der Caritas, der staatlichen und privaten Behindertenhilfe sowie Zentren für Psychiatrie. 


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