Stuttgart. „Wir sind da“, lautet das Motto der Mobilen Jugendarbeit der Evangelische Gesellschaft (eva) und der Caritas in Stuttgart. Doch wo sind die Jugendsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter, wenn die Jugendlichen, für die sie da sind, wegen der Corona-Pandemie kaum noch raus dürfen? „Wir sind trotzdem da“, sagen sie. Und beweisen es mit viel Kreativität.
„Von heute auf morgen haben wir auf Homeoffice umgestellt und halten gleichzeitig die Präsenz im Büro aufrecht“, betont Tobias Maucher. „Wir halten über die sozialen Medien Kontakt zu den Jugendlichen und machen weiterhin Streetwork – wenn auch mit den Abstandsregeln.“
„Wir machen uns echt Sorgen“
Der Sozialpädagoge gehört mit weiteren elf Kolleginnen und Kollegen zum Team Stuttgart West-Botnang. Er ist immer noch auf Straßen und Plätzen unterwegs, um die Stimmungslage besser beurteilen zu können, Jugendlichen zum Gespräch zur Verfügung zu stehen und seine Kontaktdaten zu verteilen. Sein Bereichsleiter Klausjürgen Mauch betont: „Der Aufbau und die Pflege persönlicher Beziehungen ist unser Kerngeschäft, der persönliche Kontakt ist durch nichts zu ersetzen. Wir machen uns echt Sorgen.“
Die Spannung ist vorhersehbar
Maucher weiß, die Jungs und Mädchen können sich häufig nicht in ein konfliktfreies und vertrauensvolles Zuhause zurückziehen. Die Familienverhältnisse seiner Zielgruppe sind schon unter normalen Bedingungen von finanziellen Nöten und beengten Wohnverhältnissen geprägt. „Die Mieten im Stuttgarter Westen sind so hoch, dass bisweilen drei Generationen auf engstem Raum leben müssen“, so Maucher. „Acht Leute in vier Zimmern und zwei davon in Kurzarbeit - da ist die Spannung vorhersehbar. Und ein Vater-Sohn-Verhältnis, das ohnehin angespannt ist, wird dann schnell explosiv.“
Schnelle Hilfen gefragt
Die zusätzliche Versorgung der Kinder mit Frühstück und Mittagessen, das normalerweise in der Kindertagesstätte oder der Schule eingenommen wird, und die finanziellen Einschnitte durch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit spitzen die ohnehin schon schwierige Situation etlicher Familien weiter zu. Da sind dann schnelle Hilfen gefragt. Diese Hilfen gibt es, aber das wüssten die Leute häufig nicht, betont Maucher. Die Mobile Jugendarbeit greift ein, informiert und hilft bei Anträgen, etwa auf Notkinderzuschlag oder aufstockende Hilfen. Unterstützt durch eine Spendenaktion haben Mauchers Kolleginnen und Kollegen in anderen Stadtteilen bereits Einkaufstüten mit kostenlosen Lebensmitteln verteilt.
„Drei Kinder am Handy des Vaters - so lassen sich keine Schularbeiten machen.“
Die jungen Erwachsenen in prekären Verhältnissen, Leiharbeiter etwa, trifft es am härtesten. Aber auch die Bildungsungerechtigkeit verfestigt sich unter der Corona-Pandemie zunehmend, beobachtet Tobias Maucher. Den Jungen und Mädchen, die es ohnehin schon schwerer haben, fehlt häufig die technische Ausstattung wie Handy, Laptop, Druckerpatronen oder Datenvolumen, um ihre Schularbeiten bewältigen zu können. Sie werden nach der Krise mit großen Lücken in den Schulalltag zurückkehren, so der Sozialpädagoge. „Drei Kinder am Handy des Vaters - so lassen sich keine Schularbeiten machen.“ Die eva reagiert auf diese Situation und organisiert Handys und Laptops für die betroffenen Familien. Die werden dringend gebraucht, auch wenn der Schulbetrieb eingeschränkt wieder anläuft.
Spenden - etwa für Handys und Laptops, die die eva betroffenen Familien zur Verfügung stellt - können auf folgendes Konto eingezahlt werden: Evangelische Bank eG, IBAN: DE53 5206 0410 0000 2345 67, Stichwort: Mobile Jugendarbeit.
„Im Rahmen des Stuttgarter Modells, das die Mobile Jugendarbeit mit der Schulsozialarbeit verzahnt, bieten wir Hilfe aus einer Hand“, betont Maucher. „Arbeit, Freizeit, Schule und Familie werden dabei immer zusammen gedacht.“ Es geht darum, Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. „Die vier Säulen Mobiler Arbeit – Einzelfallhilfe, Gemeinwesen-Orientierung, Streetwork als aufsuchender Teil und soziale Gruppenarbeit – funktionieren seit 50 Jahren. Mit und ohne Corona.“
Mobile Jugendarbeit ist flexibel
Soziale Gruppenarbeit in Pandemie-Zeiten? „Klar“, sagt Maucher. „Mobile Jugendarbeit ist flexibel. Unsere Gruppenangebote finden jetzt online gestützt statt. Getrennt und doch gemeinsam.“ Da werden Sportübungen und Bastelanleitungen per Video angeboten. Man trifft sich zum Online-Gaming. In einem anderen Stadtteil gibt es eine Kochgruppe über WhatsApp-Video. Aber auch analoge Angebote sind nicht out. Eine Kollegin Mauchers verschickt Rätsel an jüngere Kinder per Post. Mit frankiertem Rückumschlag für die Antworten. Trotzdem ist die soziale Gruppenarbeit durch nichts zu ersetzen. „Wir sitzen halt nicht zusammen in einem Raum, spüren nicht die Energie und die Konflikte hochkochen.“
Dass Mobile Jugendarbeit nachhaltig sein kann, beweisen jene jungen Erwachsenen, die früher in Botnang die Angebote dieser Arbeit nutzten. Sie gehören jetzt in Corona-Zeiten zu denen, die im Rahmen der Nachbarschaftshilfe für andere einkaufen, zur Apotheke gehen oder Rezepte abholen. Das freut den Sozialpädagogen: „Da zeigt sich unsere erfolgreiche Beziehungsarbeit.“
Die Landeshauptstadt gilt als Wiege der Mobilen Jugendarbeit, die 1967 als Projekt bei der eva in Stuttgart-Freiberg begann. Heute sind in Stuttgart in der Mobilen Jugendarbeit und der Schulsozialarbeit, die eng miteinander verzahnt sind, etwa 120 Mitarbeitende an 17 Standorten tätig. Je acht davon sind in evangelischer und katholischer Trägerschaft. Die Arbeit am 17. Standort, Europaviertel, verantworten beide Träger gemeinsam. Die Gesellschaft für Mobile Jugendarbeit Stuttgart hätte Ende Mai ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert.
Stephan Braun - mit Material der Evangelischen Gesellschaft (Ulrike Herbold)
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