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Menschenrechte ergänzen

Frank Zeeb will, dass die Menschenrechtsarbeit stärker in den Mittelpunkt rückt

„70 Jahre Menschenrechte – Die Zukunft eines Versprechens“ nennt sich eine Tagung, zu der die württembergische Landeskirche einlädt. Kirchenrat Dr. Frank Zeeb stellt dort ein gleichnamiges Buch vor, das er mit einem Autorenteam herausgegeben hat. Stephan Braun hat mit ihm gesprochen. 

Kirchenrat Dr. Frank Zeebprivat

Herr Zeeb, Sie haben ein Buch zum Thema 70 Jahre Menschenrechte herausgegeben. Warum?
Damit die Menschenrechtsarbeit stärker in den Mittelpunkt kirchlicher Arbeit rückt und die Gemeinden befähigt werden, sich zusammen mit anderen vermehrt für die Menschenrechte einsetzen. Das Autorenteam und ich haben deshalb viel dafür getan, dass das kein Band wird, der wie Blei im Keller liegt, sondern sich auch Hinweise für die kirchliche Arbeit finden.

Der Band weist darauf hin, dass es eine der wesentlichen Aufgaben des einzelnen Staates ist, die Menschenrechte zu gewähren und durchzusetzen . Gleichzeitig sind es häufig Staaten, die Menschenrechte mit Füßen treten. Wie können und sollen Kirchen in diesen Fällen agieren?
Das ist immer eine Frage der konkreten Situation vor Ort. In einem Staat kann ein öffentliches Auftreten wirksam Abhilfe schaffen, in einem anderen wäre das kontraproduktiv. Der Band bringt ein Beispiel aus Guatemala, wo die Kirche durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit tatsächlich Erfolge erzielen konnte. Theologisch gesehen ist für lutherisch geprägte Kirchen die Zwei-Regimente-Lehre ein Kriterium: Der Staat und seine Organe sind zunächst einmal positiv zu sehen. Wenn sie aber – modern gesprochen – Menschenrechte und Gewissensfreiheit unterdrücken, besteht Recht und Pflicht zum Widerstand um des Evangeliums und des Nächsten willen.


Kirchenrat Dr. Frank Zeeb ist Referatsleiter für Kirche, Theologie und Gesellschaft im Evangelischen Oberkirchenrat der württembergischen Landeskirche.


Wenn der menschenrechtsverletzende Staat in gewissem Maße Religionsfreiheit gegen Wohlverhalten garantiert, entsteht ein Dilemma. Können Sie Kriterien formulieren, wie sich einzelnen Christen und Kirchen in solchen Fällen verhalten sollten?
Nein, allgemeine Kriterien scheinen mir hier nicht hilfreich. Das bedarf einer sorgfältigen Betrachtung der Situation und der Möglichkeiten vor Ort. Kirchen haben unter Umständen mehr Möglichkeiten als Individuen. In der damaligen DDR zum Beispiel konnte sich die Kirche darauf berufen, dass der sozialistische Staat die Religionsfreiheit garantiert. Sie hatte sich ein Stück weit auf das System eingelassen und versucht, dieses System aus seinen eigenen inneren Logiken heraus zu reformieren. In Südafrika war der Widerstand nicht zuletzt deswegen so möglich, weil Bischof Tutu als Vertreter der Kirche hohe Anerkennung genoss.  Mitunter kann das aber auch genau umgekehrt sein. Das erleben wir beispielsweise in China und in Teilen Lateinamerikas. Da kann allzu direktes Auftreten dem übergriffigen Staat eher noch Anlass zu weiteren Repressionen geben.

Die Menschenrechte wurden im Laufe der Zeit immer wieder durch weitere Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen ergänzt. Gibt es weitere Rechte, die Ihrer Meinung nach als unveräußerliche Menschenrechte aufgenommen werden sollten?
Da geht es uns vor allem um die Rechte auf eine unversehrte Umwelt. Diese lassen sich schöpfungstheologisch gut begründen. Sie sind auch vernunftgemäß, da es sich um die Erhaltung der Lebenswelt für künftige Generationen handelt. Auf der internationalen Ebene wird im Moment auch an konkreten Rechten gearbeitet, die Menschen einfordern können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden betroffen sind, die entlang von Wertschöpfungsketten international agierender Unternehmen geschehen. Im Textilbereich aber auch bei Informationstechnologien sind die Firmensitze in der Regel in Industrieländern. Ziel ist, dass diese Firmen auch dafür belangt werden können, was in ihren Zulieferunternehmen geschieht. Ein weiterer Punkt ist die verbindliche und einklagbare Aufnahme von Standards im Umwelt- und Menschenrechtsbereich in den vielen Handels –und Wirtschaftsabkommen welche die Industrieländer mit Entwicklungsländern abschließen.


„70 Jahre Menschenrechte – Die Zukunft eines Versprechens“, zu der die Evangelische Landeskirche am Montag, 20. November, in den Stuttgarter Hospitalhof einlädt.


Nur drei Prozent der Weltbevölkerung lebt heute in Ländern, in der sich die Menschen frei äußern und organisieren können. Auch Solidaritätsgruppen und Nicht-Regierungsorganisationen sind dadurch betroffen. Inwieweit hat die württembergische Landeskirche in ihrer weltweiten Arbeit damit Erfahrung machen müssen?
Die Spielräume für Organisationen, die sich für Menschenrechte oder die Umwelt engagieren, werden von immer mehr Staaten eingeschränkt. Das spüren auch unsere Partnerkirchen und
-gemeinden. Bei einer Partnerschaftskonsultation 2016 haben viele unsere Partner von ihrer Arbeit gegen die Abholzungen der Urwälder oder gegen Minenprojekte berichtet, die mit massiven Eingriffen in die Natur und Vertreibungen von Kleinbauern verbunden sind.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in der Menschenrechtsarbeit der württembergischen Landeskirche?
Die Menschenrechtsarbeit fristet oft noch ein Mauerblümchen-Dasein in der kirchlichen Arbeit. Sie muss aber in der Mitte von Kirche und Theologie ankommen. Die Gemeinden müssen befähigt werden, sich für Menschenrechte bürgerschaftlich einzusetzen. In der Partnerschaftsarbeit muss mehr Sensibilität für diese Themen entstehen. Gleichzeitig hoffen wir, dass in der Grundlagenarbeit der theologischen Forschung und Lehre das Thema intensiver aufgegriffen und bearbeitet wird.

Was sind Ihre Ziele für die Menschenrechtsarbeit der nächsten fünf Jahre?
Das haben wir uns im Vorbereitungsteam auch überlegt. Wir meinen, gerade weil die Kirche per se international und ökumenisch ist, kann sie die globalen Zusammenhänge in die Menschenrechtsdebatte einbringen. Es muss deutlich werden, dass wir in einer Welt leben und Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards direkt mit unserem Lebensstil und unserer Form zu Wirtschaften zu tun haben. Auch wenn sie weit von uns stattfinden. Der ökumenische Theologe Paulus schreibt in Korinther 12:  Wenn ein Glied leidet, leiden alle mit und wenn ein Glied sich freut, freuen sich alle mit.


Das Buch „70 Jahre Menschenrechte – Die Zukunft eines Versprechens“ wird herausgegeben von Eva Peller und Kirchenrat Dr. Frank Zeeb. Es erscheint als Band 6 der Reihe „Evangelisch in Württemberg“ im Verlag der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart.

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