| Gesellschaft

Ein Wildschwein namens Luther

Landesarchiv Stuttgart erzählt Geschichte der Reformation neu

Württemberg wurde im 16. Jahrhundert ein evangelischer Staat. Und das, obwohl der Reformator Martin Luther das Land im Südwesten nie besucht hat. Das Landesarchiv Stuttgart erzählt in der Ausstellung "Freiheit - Wahrheit - Evangelium. Reformation in Württemberg" die Geschichte der Reformation im Südwesten neu. Zu sehen von 13. September bis 19. Januar 2018 im Kunstgebäude Stuttgart.

Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Der Blick in den ersten Raum ist furchterregend. Dem Betrachter stellt sich ein riesiges Wildschwein entgegen - ein Spielzeug, mit dem der zur Reformationszeit in Württemberg regierende Herzog Ulrich Gesellschaften belustigte oder erschreckte. Die Zunge des Tiers konnte ursprünglich durch eine Mechanik zum Schnalzen gebracht werden. Das Motiv in der Ausstellung "Freiheit - Wahrheit - Evangelium. Die Reformation in Württemberg", die von diesem Mittwoch an in Stuttgart zu sehen ist, wurde nicht zufällig gewählt. Denn das Wildschwein ist nicht nur ein kulturhistorisches Zeugnis, sondern taucht auch im Text der Bannandrohungsbulle auf, mit der Papst Leo X. 1520 den jungen Mönch Martin Luther zum Widerruf seiner evangelischen Thesen zwingen wollte.

Diese Bulle, die in Anlehnung an ein Psalmwort Luther als ein den Weinberg Gottes verwüstendes Wildschwein darstellt, ist eines der kostbarsten Dokumente der europäischen Geschichte. Von ihr existieren weltweit nur drei Exemplare - eines in Wien, eines in Dresden und eines in Stuttgart. Dass dieses Dokument überhaupt am Neckar archiviert wurde, lag an den katholischen Habsburgern, die das Land zurzeit der Anfänge der Reformation regierten. Als sie verjagt wurden, ließen sie die Bulle zurück, erläutert Historiker Peter Rückert, der die Ausstellung konzipiert hat.

Es sind rund 250 Schätze aus Archiven, Klöstern und Kirchen, die im Stuttgarter Kunstgebäude die Geschichte der Reformation in Württemberg neu erzählen. Kurator Rückert hat nach eigenen Worten versucht, "ein Format zu finden, das die Besucher mitnimmt". So gibt er Einblicke in die spätmittelalterliche Frömmigkeit - mit tausend Ängsten etwa vor dem Weltuntergang, den Albrecht Dürer in 16 ausgestellten Blättern zur Apokalypse illustriert hat. Angst auch vor dem Fegefeuer, dessen Dauer man sich nach damaliger Lehre durch gekaufte Ablassbriefe verkürzen konnte. Zu sehen ist beispielsweise ein Weihwasserkessel aus Bad Boll aus dem 13. Jahrhundert, der später zu einem Ablasskasten umfunktioniert wurde.

Kostbare Altäre, Heiligenverehrung und ein reiches Klosterleben prägten diese Zeit. Das färbte auch noch auf Menschen ab, die sich für Luther begeisterten. So ist ein selten ausgestelltes Lutherporträt auf Goldgrund zu sehen, das ihn wie einen katholischen Heiligen erscheinen lässt. In Auftrag gegeben wurde es von einem Tiroler Bergmeister, der für die katholischen Fugger arbeitete - auch das eine Skurrilität jener Zeit.

Reformation bringt eine Kirche hervor, die nie bei sich selbst stehen bleibt, sondern Kirche für andere ist. Sie wirkt in der Gesellschaft, und die Gesellschaft wirkt auf sie zurück.

Landesbischof Frank Otfried July zur Ausstellungseröffnung

Die Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern beschleunigte die Reformation: Bücher, Flugschriften, Lieder brachten Gedanken, Argumente und Polemiken in bis dahin beispielloser Geschwindigkeit zu den Massen. Auch die Bannandrohungsbulle wurde gedruckt - und ein solches Exemplar war es, das Luther dann öffentlich verbrannte. Ein Original hatte er wohl nicht zu Gesicht bekommen.

Dass Württemberg - von Luther nie besucht - als Staat evangelisch wurde, verordnete schließlich der schillernde Herrscher Herzog Ulrich. Er war 1519 aus seinem Land vertrieben worden, konnte aber 1534 mit hessischer Hilfe wieder zurückkehren. Unverzüglich machte er Württemberg protestantisch. Bei seinem Einsatz für die lutherische Sache gingen nach Überzeugung von Historikern Begeisterung für den evangelischen Glauben und kühle Machtpolitik Hand in Hand. In der Ausstellung ist unter anderem seine Rüstung zu sehen.  

Die Stuttgarter Schau verbindet sich mit drei parallel stattfindenden Ausstellungen in den Klöstern Maulbronn, Bebenhausen und Alpirsbach. Entstanden ist sie in Kooperation des Landesarchivs mit den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg. In den drei Klöstern werde keine Wanderausstellung gezeigt, vielmehr handele es sich um eigenständige Ausstellungen mit einzigartigen Exponaten, betont Michael Hörrmann, Geschäftsführer der Staatlichen Schlösser und Gärten.

Im letzten Raum befindet sich eine Sitzbank vor einem Panoramafenster, das den Blick auf den Schlossgarten und den Landtag freigibt. Der Betrachter ist in der Gegenwart angekommen und wird mit der Frage konfrontiert was die Begriffe Freiheit, Wahrheit und Evangelium für Baden-Württemberg im Jahr 2017 bedeuten.


Ausstellung Freiheit - Wahrheit - Evangelium. Reformation in Württemberg.
13. September 2017 bis 19. Januar 2018 im Kunstgebäude Stuttgart
Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag - Sonntag 11 - 18 Uhr, Mittwoch 11 - 20 Uhr
Eintritt Stuttgart 8 Euro (ermäßigt 5 Euro), Kombiticket mit Klöstern 15 Euro, ermäßigt 7,50 Euro
Zur Ausstellung sind im Verlag Thorbecke (Ostfildern) ein Katalog und eine Aufsatzsammlung erschienen


Mehr News

  • Datum: 22.04.2024

    Innovationstag: Jetzt anmelden!

    Frische Ideen fürs Gemeindeleben: Unter dem Motto „#gemeindebegeistert – Kirche lebt, wo dein Herz schlägt“ veranstaltet die Landeskirche am 4. Mai einen großen Innovationstag. In Projektpräsentationen und Workshops gibt’s Austausch und Tipps. Jetzt anmelden

    Mehr erfahren
  • Datum: 22.04.2024

    KI in der Gemeindearbeit einsetzen

    Was ist Künstliche Intelligenz und was ist damit anzufangen? Eignet sich KI auch für die Gemeindearbeit und wo konkret kann sie dort zielgerichtet angewendet werden? Mit diesen Fragen befasst sich am 16. Mai ein Online-Seminar des Evangelischen Medienhauses.

    Mehr erfahren
  • Datum: 19.04.2024

    „Konfirmanden ist Glaube wichtiger als Geschenke“

    Frontalunterricht gibt es kaum noch im Konfi-Unterricht, sagt Prof. Dr. Wolfgang Ilg von der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg im Interview. Die Konfi-Arbeit sei nach wie vor das Angebot mit der größten Reichweite in der Evangelischen Kirche.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.04.2024

    „Kirche mit Kindern“ ist einfach lebendig

    Vom Kindergottesdienst zu einer Kirche für die ganze Familie: Lebendiger und spannender Gottesdienst mit neuen Herausforderungen. Wir haben Sabine Foth gefragt, wie sich die Kirche mit Kindern zu einer Familienkirche gewandelt hat und was ihr an der Arbeit besonders gefällt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.04.2024

    Video: Multitalent mit Down-Syndrom

    Tamara Röske hat viele Talente: Schauspielern, Modeln und Leichtathletik – trotz Handicap. Die 28-Jährige hat das Down-Syndrom. Wie bringt sie alles unter einen Hut? Darüber spricht sie zusammen mit ihrer Mutter Antje mit „Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb.

    Mehr erfahren
  • Datum: 17.04.2024

    „Der Segen Gottes gilt uns allen“

    Mit einem Gottesdienst in der Klosterkirche Mariaberg bei Gammertingen hat am 13. April die ökumenische Woche für das Leben begonnen. Sie stellt unter dem Motto die Lebenswirklichkeiten Jugendlicher und junger Erwachsener mit Behinderungen in den Mittelpunkt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Segen, Mut & Traubenzucker

    In diesen Wochen stehen an vielen Schulen Abschlussprüfungen an - für Schülerinnen und Schüler eine stressige Zeit. Die Ev. Jugendkirche Stuttgart macht mit einem speziellen PrüfungsSegen Mut und stellt auch anderen Gemeinden Materialien zur Verfügung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Digitaler Notfallkoffer für die Seele

    Hilfe in persönlichen Krisenmomenten bietet die KrisenKompass-App der Telefonseelsorge fürs Handy und Tablet. Sie bietet Unterstützung, um schnell wieder auf positive Gedanken zu kommen oder bei Bedarf rasch professionelle Hilfe finden zu können.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Zum 200. Todestag von Beata Regina Hahn

    Vor 200 Jahren starb Beata Regina Hahn, die zweite Ehefrau des Mechanikerpfarrers Philipp Matthäus Hahn, Tochter von Johann Friedrich Flattich und Mutter der Schulgründerin Beate Paulus. Als Herausgeberin von Hahns Schriften prägte sie dessen Bild für viele Jahre.

    Mehr erfahren
  • Datum: 15.04.2024

    „Wir beten, dass die zerstörende Gewalt ein Ende nimmt“

    Die Landeskirchen in Württemberg und Baden haben den Jüdinnen und Juden im Land Grüße zum Pessach-Fest übersandt. Darin nehmen Landesbischof Gohl und Landesbischöfin Springhart Bezug auf den Angriff der Hamas wie auch auf den Raketenangriff des Iran auf Israel.

    Mehr erfahren
  • Datum: 15.04.2024

    Hoffnung wird durch Menschen vermittelt

    Bei einer religionspolitischen Tagung der SPD-Bundestagsfraktion am 12. April in Berlin unter dem Titel „Mehr Zuversicht! Mit Hoffnung die Zeiten wenden“ betonte Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl, wer die Verwurzelung in Jesus Christus spüre, werde für andere zur Hoffnung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 13.04.2024

    Landesbischof Gohl: "Wir stehen an der Seite Israels"

    "Der Angriff des Iran bedroht die Existenz Israels. Wir müssen daran erinnern, dass alles mit dem Pogrom der Hamas an Israel begann." Gohl weist weiterhin auf die israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas hin.

    Mehr erfahren
Mehr laden