| Landeskirche

Pionier für das Orgelspiel 4.0

Kirchenmusiker will mit digitaler Hilfe die Pfeifenorgel retten

Eine Jukebox für die Orgel und Künstliche Intelligenz, die Orgelsätze selbst komponiert: Kirchenmusikdirektor Peter Ammer ist bereit, alle technischen Neuerungen unter die Lupe zu nehmen - wenn sie das Orgelspiel attraktiver machen.

Kirchenmusikdirektor Peter Ammer an der Orgel der Stadtkirche Nagoldepd/Judith Kubitscheck

Es ist immer wieder eine Überraschung bei den Orgelführungen: Kirchenmusikdirektor Peter Ammer steht mitten in seinem virtuosen Orgelspiel von der Orgelbank auf - und sein Instrument spielt ohne ihn weiter. Möglich ist das, weil die Pfeifenorgel in der Nagolder Stadtkirche im Nordosten des Schwarzwaldes mit einem Magnetsystem ausgestattet wurde. Dieses simuliert den Anschlag der Tasten und kann mit Hilfe eines Touchscreens zuvor aufgenommene Stücke abspielen.

Orgelpionier aus Nagold

Der 55-jährige Ammer ist eine Art Orgelpionier. Seit drei Jahren hat der Präsident des Verbandes der evangelischen Kirchenmusik in Württemberg ein Ziel: Er will alle Neuerungen, die es derzeit im Orgelbereich gibt, zusammentragen und versucht, sie in der Stadtkirche ebenso wie an einer kleinen Gemeinde-Orgel in der Umgebung umzusetzen. Dadurch, so der Plan, können Orgelbauer, Pfarrer und Musiker selbst ausprobieren, welche digitalen Neuigkeiten es mit welchen Vor- und Nachteilen gibt - und dann fundierter entscheiden, ob sie diese auch woanders einsetzen wollen.

Förderung durch EU und Landeskirche

„Singen - Orgel 4.0" heißt das Projekt der Nagolder Kirchengemeinde, Kooperationspartner ist unter anderen das Zentrum für Musikinformatik an der Musikhochschule Detmold. Finanzielle Unterstützung kommt von der Europäischen Union und der Digitalisierungs-Kommission der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

In der Nagolder Stadtkirche sind seit kurzem alle Töne der Orgelpfeifen zusätzlich gesampelt, also einzeln aufgenommen und digitalisiert worden. Damit können die Klänge über Lautsprecher wiedergegeben werden - was aber längst nicht so authentisch klingt, sagt Ammer: „Der durch Wind erzeugte Originalklang der Orgel kann kaum realistisch durch Lautsprecher ersetzt werden." Auch die Orgelregister können demnächst mit dem sogenannten „Vario-Setzer" digital gesetzt werden - einem System, das es bisher in Deutschland neben Nagold nur in Mannheim, Würzburg, Paderborn und in Bernkastel in Rheinland-Pfalz gibt.

Doch die Entwicklung ist in einigen Kirchen noch viel weiter: In der evangelischen Katharinenkirche in Braunschweig gibt es einen „Audiomat", in dem per Münzeinwurf Orgelwerke abgespielt werden können. Bald soll ein solches Gerät auch im Schwarzwald stehen, das dann vielleicht auch Choräle nach ausgewählter Stimmung oder Jahreszeit abspielen kann.

Musizier-Software für Orgeln

Ammer arbeitet auch mit Experten des Detmolder Zentrums für Musik- und Filminformatik zusammen, um beispielsweise bestehende Musizier-Software für die Orgel zu adaptieren. Vieles ist Vision: „Eine meiner Ideen ist, dass der Pfarrer im Gottesdienst ein Lied anstimmt, die Software das Lied erkennt und mittels künstlicher Intelligenz selbst einen passenden Begleitsatz automatisch generiert“, sagt er und lächelt dazu verschmitzt.

Alles nur technische Spielereien? Der Musiker schüttelt entschieden den Kopf: In nahezu jeder Kirche stehe eine Orgel. Doch in vielen Gemeinden fehlt Organisten-Nachwuchs. Oder es spielt im Gottesdienst eine Band, die moderne Lieder anscheinend besser begleiten kann. Tatsächlich sind einige der modernen, rhythmisch anspruchsvollen Lieder für manche Organisten mit einer klassisch-orientierten Ausbildung nur schwer spielbar. Hier könnte eine Maschine einspringen und dafür vorprogrammierte oder live-generierte Arrangements abspielen, schlägt Ammer vor.

Werden Organisten überfüssig?

Nicht jeder Kirchenmusiker ist begeistert, wenn er von den digitalen Experimenten des Nagolder Kollegen hört. „Manche befürchten, dass dadurch die Organisten bald überflüssig werden“, sagt Ammer, der auch einer der beiden Vizepräsidenten des Verbandes Evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in Deutschland (VEM) ist. Doch das Gegenteil sei der Fall: „Durch die digitale Aufrüstung retten wir langfristig die Orgel - und damit das Singen in den Gemeinden.“

Er ist überzeugt: Um das Weltkulturerbe Orgel auch in Zukunft zu erhalten, sei wichtig, dass die „Königin der Instrumente“ überhaupt noch gespielt werde - egal ob von einer Organistin oder einer Maschine. „Die Orgel muss wieder 'in' sein und positiv erlebt werden. Dann wird es weiterhin Menschen geben, die das Instrument lernen wollen.“

Menschen wieder zur Orgel bringen

In regelmäßigen Symposien der „Nagolder Orgelakademie“ will Ammer Experten aus dem Bereich der Theologie, Kirchenmusik, Orgelbau, und Ausbildung zusammenbringen, damit sie sich vernetzen und die Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung für die Orgel auszuloten können. Er hat seine Ideen auch schon auf einer bundesweiten Sitzung aller Ausbildungsstättenleiter für Kirchenmusik und der Landeskirchenmusikdirektoren präsentiert. 

„In den vergangenen Jahrzehnten haben sich viele Milieus herausgebildet, denen Orgelmusik total fremd ist“, sagt der Nagolder Dekan Ralf Albrecht, der das Projekt von Anfang an begleitet. „Wir wollen Menschen wieder zur Orgel bringen und dadurch auch dem Gemeindegesang neuen Schwung geben.“

Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)

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