| Gesellschaft

„Der Brückenkopf der Württemberger“

Beate Kempf-Beyrich und Tilman Beyrich sind Dompfarrer in Greifswald

Ein schwäbisch-pommersches Paar: Beate Kempf-Beyrich und Dr. Tilman Beyrich sind Dompfarrer in Greifswald.Siegfried Denzel/EMH

Greifswald/Tübingen. Die friedliche Revolution in der DDR und der Mauerfall - 2019 jährt sich das Überwinden der deutschen Teilung zum 30. Mal. elk-wue.de stellt in einer Serie Persönlichkeiten vor, die einerseits in Württemberg verwurzelt sind - andererseits aber auch die „andere“ Seite kennengelernt haben. Heute: die beiden Greifswalder Dompfarrer Beate Kempf-Beyrich und Dr. Tilman Beyrich. Sie haben sich 1992 im Stift Tübingen kennen- und wenig später liebengelernt.

„Wir sind der Brückenkopf der Württemberger in Pommern.“ Der Greifswalder Dompfarrer Dr. Tilman Beyrich sagt's geradezu verschmitzt - und benutzt ähnlich wie Kabarettist Dieter Nuhr militärisches Vokabular. Der verglich den 30. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November schon mal mit dem „30. Jahrestag der Besetzung Berlins durch die Schwaben“.

Ganz so „schlimm“ ist's nochmal 200 Kilometer weiter nördlich zwar nicht, aber der schwäbische Einfluss ist trotzdem unüberhörbar. Etwa wenn Pfarrerin Beate Kempf-Beyrich über ihre Wurzeln erzählt: Geboren in Pforzheim, aufgewachsen in Altensteig (Landkreis Calw) und dann etliche Jahre wohnhaft in Ofterdingen bei Tübingen, ist sie eine waschechte Baden-Württembergerin.

Zwar sagt sie nach inzwischen 24 Jahren im Nordosten von sich: „Pommern ist meine Heimat geworden.“ Aber: „Ich spreche weiter meinen Dialekt.“

Enkel des württembergischen Altbischofs getauft

Mindestens einmal im Jahr ist Schwäbisch schwätza sogar Pflicht im Hause Kempf-Beyrich: „Schwaben-Abende“ sind so etwas wie eine Tradition geworden für die beiden Greifswalder Dompfarrer - bei Maultaschen sowie Linsen und Spätzle finden sich gerne Gäste aus dem Südwesten ein.

Beispielsweise hat es zwei Kinder des früheren württembergischen Landesbischofs Theo Sorg aus familiären Gründen auf die Insel Usedom verschlagen. Mit „Folgen“:  „Wir haben die Enkel von Altbischof Sorg getauft“, verraten Beate Kempf-Beyrich und ihr Mann Tilman schmunzelnd.

14 Jahre auf der Insel

Immerhin waren die beiden 14 Jahre lang Seelsorger in den Usedomer Kaiserbädern, bevor sie im vergangenen Jahr an den Greifswalder Dom wechselten.

Während es für den 52-Jährigen die Rückkehr in seine Heimatstadt war, fiel seiner zwei Jahre jüngeren Frau der Wechsel deutlich schwerer - obwohl zwischen den Ostseebädern Heringsdorf, Ahlbeck und Bansin und der pommerschen Universitätsstadt nur gut 60 Kilometer liegen, musste Beate Kempf-Beyrich zum zweiten Mal seit ihrem „großen“ Wechsel 1995 in den Nordosten einige Wurzeln kappen.

Mächtig erhebt sich der Turm des Doms St. Nikolai über die Häuser der Greifswalder Altstadt.Siegfried Denzel/EMH

Und obwohl sie Pommern inzwischen als ihre Heimat bezeichnet, bleibt bei ihr ein Rest Fremdheit: „In Pommern bleibt man immer ein Reingeschmeckter...“ Selbst in dem für pommersche Verhältnisse großen, fast 60.000 Einwohner zählenden Greifswald.

„Dann kommt man nicht mehr zum Studieren“

Trotzdem ist sie überzeugt: „Es ist gut, dass es Ost-West-Paare gibt“ - sie seien die einzige Chance für die Deutschen, eines Tages die Einheit auch in den Köpfen vollenden zu können.

Wobei ihr Mann, der gebürtige Greifswalder, sanft widerspricht. Er habe nie die so berüchtigte Unterscheidung „Ossi - Wessi“ gespürt, als er nach einem begonnenen Physikstudium und einigen Ost-Semestern Theologie nach Tübingen kam.

Dass es für ihn damals gleich mehr als 900 Kilometer tief in den Süden ging, liegt an einer Verkettung von aus heutiger Sicht glücklichen Umständen. Einerseits war's die Erkenntnis, dass es in der damals noch Wende-trunkenen Heimat nichts werden könnte mit einem Studienabschluss: „Wenn man erst einmal mit der Politik anfängt, ist das so was von aufsaugend - da kommt man nicht mehr zum Studieren.“

Selbst 30 Jahre nach der Wende hängt am Eingang des Greifswalder Doms noch ein Transparent mit dem Motto der einstigen DDR-Friedensbewegung: „Schwerter zu Pflugscharen.“Siegfried Denzel/EMH

Theologen mit weltlichen Aufgaben

Tilman Beyrich wäre nicht der erste Theologe aus der DDR gewesen, der in der Politik landet: Wegen der führenden Rolle der Kirche bei der friedlichen Revolution 1989 war es fast eine logische Konsequenz, dass viele angehende oder schon seit Jahren im Pfarrdienst tätige Geistliche plötzlich höchst weltliche Aufgaben hatten.

Pastor Reinhard Glöckner etwa, der seit den 1980er Jahren zu den führenden Köpfen der Friedensbewegung in Greifswald gehörte, Friedensgebete und Montagsdemonstrationen mit organisierte, fand sich nach der Wende als erster frei gewählter Oberbürgermeister im Greifswalder Rathaus wieder.

Die Rolle eines Tübinger Professors

Beyrich hingegen blieb dabei: Er wollte weiterhin Pfarrer werden, machte deshalb als Theologiestudent einen bewussten Bogen um die Politik - und lauschte bei einem Blockseminar in Halle fasziniert einem aus Tübingen angereisten Professor. Eberhard Jüngel war es, der den heute 52-Jährigen schließlich 1992 mit dem Angebot „studentische Hilfskraft“ an den Neckar lotste.

„So ist also der Westen“

Als Tilman Beyrich in Tübingen ankam, fühlte er sich in einer völlig anderen Welt: „So ist also der Westen - das war alles so schön“ - während die alte Hansestadt Greifswald zu Wendezeiten „völlig verfallen“ und von den DDR-Stadtplanern bereits eines Teils ihrer historischen Altstadt beraubt war.

Doch abgesehen von den so unterschiedlichen baulichen Erhaltungszuständen fiel dem Neuankömmling noch etwas an und in Tübingen auf: „Mich hat beeindruckt, wie eine breite Mehrheit der Bevölkerung Kirche will.“ Im Gegensatz zum Nordosten - wo Tausende zwar zu den Friedensgebeten in die Kirchen strömten, nach vollzogener Einheit aber die Gotteshäuser meist nur noch von außen wahrnahmen.

„Ich war willkommen“

Tilman Beyrich fühlte sich von Anfang an wohl in Tübingen. „Ich war willkommen als Ostler“ - auch wenn es zunächst nicht mit der Unterbringung im evangelischen Stift klappte: Das nämlich wurde damals gerade saniert. Und so wohnte er für ein Semester im nur wenige hundert Meter entfernten katholischen Priesterseminar, lernte den streitbaren katholischen Professor Hans Küng kennen - und schlug in dieser Zeit gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe: „Ich habe den Westen und den Katholizismus kennengelernt.“

Und natürlich seine Beate.

Schild am Dompfarramt Greifswald: Seit einem Jahr sind Beate Kempf-Beyrich und Dr. Tilman Beyrich die Dompfarrer in der pommerschen Universitätsstadt.Siegfried Denzel/EMH

„Ich bin ein Wende-Gewinner“

Keine Frage: Es war eine glückliche Zeit für den Greifswalder. Fast fröhlich sagt er etwas, was andere im Osten noch immer als schweren Vorwurf gegen sich verstehen würden - zumindest aber als Ausdruck der Geringschätzung: „Ich bin ein Wende-Gewinner.“

Dabei schwingt in Beyrichs Bemerkung keinerlei negativer Unterton mit - er hat nämlich objektiv recht, wenn er ergänzt: Er habe einfach zur richtigen Zeit das richtige Alter gehabt. In Tübingen habe er „das Nach-Wende-Desaster nicht mitbekommen“, das in den frühen 90er Jahren viele in seiner alten Heimat in die pure Verzweiflung trieb: Massenentlassungen, Schließungen unrentabler Betriebe in allen Branchen - mit Arbeitslosenquoten, die in Vorpommern zeitweise knapp an die 40-Prozent-Marke heranreichten.

Einwohner wandern ab

Einige Gemeinden und Kleinstädte in dieser Region verloren in den ersten zehn Jahren nach der Wiedervereinigung ein Drittel ihrer Einwohner - vor allem die Jüngeren suchten ihr Heil im Westen. Denn zuhause war kaum noch eine halbwegs anständig bezahlte Arbeit zu bekommen.

Für die damalige Theologiestudentin Beate Kempf war das Ganze noch weiter entfernt als für den Neu-Tübinger Tilman: Sie habe weder Freunde noch Familie in der DDR gehabt, erzählt sie. „Ich hatte ein paar Wochen vor der Wende mein Studium angefangen“ - da habe sie höchstens beiläufig mitbekommen, was 1989/90 im „fernen“ Osten geschah...

Unsichere Zukunft in Württemberg

Da wirkt es wie eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet in Zeiten des Massen-Exodus' aus dem Osten das junge Theologen-Paar den Südwesten verließ und gen Nordosten zog.

Ganz freiwillig indes war das nicht, räumt die heutige Dompfarrerin ein. Ihr Studien-Ende in Tübingen fiel nämlich in jene Zeit, als die württembergische Landeskirche nur noch wenige Nachwuchs-Theologen in ein Vikariat übernahm. Die damalige, inzwischen in der Nordkirche aufgegangene Pommersche Evangelische Kirche suchte dagegen junge Kräfte.

Die Spuren der Wende sind im Greifswald der Gegenwart noch zu finden: Gedenktafel am heutigen Landes-Verfassungsgericht unweit des Doms.Siegfried Denzel/EMH

Wählerisch aber konnten sie nicht sein: Erste Pfarrstelle war der abgelegene 200-Seelen-Flecken Ranzin, gut 20 Kilometer südöstlich von Greifswald. Trotzdem hatte ihr Vorgänger es geschafft, bis weit über die Dorfgrenzen hinweg Aufsehen zu erregen: Ausgerechnet zum früheren „Tag der Republik“ am 7. Oktober hatte  der Pastor im Pfarrhaus ein zeitweiliges DDR-Museum mit vielen einstigen Alltagsgegenständen eingerichtet. Die Resonanz war geteilt: Zwar strömten seinerzeit die Besucher - doch in der Kommunalpolitik und auch in der Pfarrerschaft gab es einige, die dem Seelsorger eine Verklärung der Zeit vor 1989 vorhielten.

West-Schock in Heidelberg

30 Jahre nach der Wende sind solche Aufreger von einst ebenfalls längst Geschichte. Und doch ist die deutsche Einheit für die West-Ost-Theologenfamilie zumindest subjektiv noch nicht völlig hergestellt.

So habe die mit 24 Jahren älteste Tochter von Beate Kempf-Beyrich und Tilman Beyrich geradezu einen West-Schock erlebt, als sie in Heidelberg ihr Theologiestudium aufnahm: Überall habe es dort „so geleckt“ ausgesehen. Und um zumindest gefühlt nicht sofort als jemand aus dem Osten wahrgenommen zu werden, habe sie sich als erstes einen neuen Mantel gekauft...


Siegfried Denzel


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