| Gesellschaft

Die thüringische Württembergerin

Christiane Fröhlich aus Saalburg ist Pfarrerin in Künzelsau

Künzelsau/Saalburg. Die friedliche Revolution in der DDR und der Mauerfall - 2019 jährt sich das Überwinden der deutschen Teilung zum 30. Mal. elk-wue.de stellt in einer Serie Persönlichkeiten vor, die einerseits in Württemberg verwurzelt sind - andererseits aber auch die „andere“ Seite kennengelernt haben. Heute: Christiane Fröhlich, Pfarrerin in Künzelsau.

Siegfried Denzel/EMH

Ja, sie war dabei - 1989 bei den Montagsdemonstrationen in der thüringischen Kleinstadt Saalburg. Die friedlichen Proteste gegen das SED-Regime seien „herübergeschwappt“ aus dem 130 Kilometer entfernten Leipzig, sagt Christiane Fröhlich: Dort, in der Messestadt, waren seit September 1989 Zigtausende auf der Straße.

„Wir sind das Volk!“ und bald auch „Wir sind ein Volk!“ - die Parolen in der sächsischen Metropole fanden auch in der thüringischen Provinz Gehör. Zumal Saalburg noch viel dichter dran war am Eisernen Vorhang.

Die A9, nicht bloß Autobahn, sondern DDR-Transitstrecke zwischen dem Westen und der westlichen Hälfte Berlins, führte nur wenige Kilometer an Saalburg vorbei. In Richtung Südwesten durften die Saalburger noch bis zur nächsten Abfahrt fahren - dann begann das Sperrgebiet, erinnert sich Christiane Fröhlich. Nicht aus persönlichem Erleben, sondern aus Erzählungen.

Die DDR-Grenzübergangsstelle Hirschberg an der A9 am 10. November 1989.Bundesarchiv/CC BY-SA 3.0 de

Denn bei den Montagsdemonstrationen saß sie im Kinderwagen. Drei Jahre alt war sie damals - und hatte keine Ahnung, worum es den vielen Menschen auf der Straße eigentlich ging. Ihre Eltern haben ihr später berichtet...

So gehört Christiane Fröhlich zu jener Generation, die zwar noch in der DDR geboren wurde. Aber doch schon ins geeinte Deutschland hineingewachsen ist - und keine eigene Erinnerung an „den Osten“ mehr hat.

Einschulung 1993

Ja, ihre Eltern seien als aktive Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde Saalburg staatlichem Druck ausgesetzt gewesen - wie so viele in der DDR, die dem staatlich verordnetem Atheismus den Glauben an Jesus Christus entgegensetzten. Doch als die heutige Pfarrerin 1993 in die Schule kam, war davon nichts mehr zu spüren.

Der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel hatte im Jahr zuvor seinen politischen Ruhestand beendet und in der Erfurter Staatskanzlei den ersten thüringischen Nach-Wende-Ministerpräsidenten Josef Duchac (beide CDU) abgelöst, Straßenbauer brachten die A9 auf West-Standard. Und Christiane Fröhlich hatte in Saalburg nicht nur Deutsch und Mathematik als ordentliches Lehrfach, sondern auch Religion.

Das Ende der Christenlehre

„Wir waren in unserem Jahrgang 30 Kinder“, erinnert sich die heute 33-Jährige. 15 davon - also immerhin die Hälfte - besuchten den Religionsunterricht. Noch heute ist Thüringen unter den einst neuen Bundesländern jene Region, in der sich prozentual die meisten zum Christentum bekennen.

Und es war nicht nur der Religionsunterricht, der ihr Interesse für die Kirche weckte: Parallel besuchte sie die Christenlehre der Kirchgemeinde - zumindest so lange, bis die damalige Saalburger Katechetin in den Ruhestand ging; bereits ihr Vater war bei jener Frau Christenlehre-Kind.

Für Christiane Fröhlich war der Ruhestand der altgedienten Katechetin so etwas wie die ganz subjektiv erlebte Wende: In Sachen religiöser Bildung „habe ich den Wandel und auch den Abbruch erlebt“, sagt sie.

Die Stadtkirche in Saalburg.Michael Sander/CC BY-SA 3.0

Und noch etwas machte den Wandel für Christiane Fröhlich aus: Auf der Kanzel der Saalburger Kirche löste ein junger, von der Friedensbewegung geprägter Pfarrer seinen Vorgänger ab.

War der bisherige Pfarrer vielleicht zermürbt von der stetigen Positionsbestimmung gegenüber dem Regime, sei der Neue unbelasteter gewesen. Und hat mit seinem frischen Elan die junge Generation einfach noch besser erreichen können.

Viertel neun - oder viertel nach acht?

Jedenfalls so sehr, dass sich Christiane Fröhlich nach ihrem Abitur zum Theologiestudium entschloss: 2006 begann sie es im pommerschen Greifswald - rein theoretisch hätte es auch Tübingen sein können. Oder Göttingen.

Dass Deutschland jahrzehntelang geteilt war, spielte für sie und ihre Altersgruppe keine Rolle mehr - genauso wenig wie die Unterscheidung zwischen „Ossis“ und „Wessis“. 

„Die Herkunft hatte keine Bedeutung“, eine gute Freundin aus jener Zeit beispielsweise stamme aus Niedersachsen. Das einzig wirklich Trennende sei die Uhrzeit gewesen: „Heißt es ,Viertel Neun' - oder ,Viertel nach Acht'?“

„Warum konnte es niemand aus Brandenburg werden?“

Der Station in Greifswald folgte für die junge Theologin Jena. Dort begegnete sie der damals noch neuen mitteldeutschen Bischöfin Ilse Junkermann. Die Württembergerin war 2009 zur ersten Bischöfin der aus der thüringischen Landeskirche und der Kirche in der evangelischen Kirchenprovinz Sachen fusionierten Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland gewählt worden - und dass sich die Bischöfin schon kurz nach ihrem Amtsantritt der Diskussion mit den Theologiestudenten stellte, rechnet Fröhlich Ilse Junkermann noch heute hoch an: Es sei ein „konstruktiver Austausch“ auf Augenhöhe gewesen - auch wenn die Studenten mit der Württembergerin zunächst etwas gefremdelt haben. In diesem speziellen Fall wegen ihrer Herkunft.

Die Württembergerin Ilse Junkermann war von 2009 bis 2019 Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.Evangelische Kirche Mitteldeutschlands

Dass jemand von außerhalb Mitteldeutschlands Chef würde, sei ja in Ordnung gewesen - „aber warum konnte es niemand aus Brandenburg werden?“ Oder wenigstens aus Sachsen?

Doch schließlich ebnete die Kirchenpartnerschaft zwischen Mitteldeutschland und Württemberg der Thüringerin den Weg - in den Westen: „Ich habe ein württembergisches Examen und bin ordinierte württembergische Pfarrerin“ - und kein Thüringer Dialekt verrät, dass Christiane Fröhlich ursprünglich gar nicht in Künzelsau zuhause war.

„Man begegnet mir mit Achtung“

Seit März 2018 ist die 33-Jährige Pfarrerin im Hohenlohischen. Ihre thüringische Herkunft sei ihr niemals „vorgehalten“ worden - im Gegenteil: „Die Frage nach meiner Herkunft spricht eher für Interesse an meiner Person. Man begegnet mir mit Achtung“, findet die Theologin.

Derzeit ist sie überwiegend in der Alten- und Pflegeheimseelsorge tätig - und da hat sie etwas Interessantes festgestellt: Für die von ihr betreuten Frauen und Männer spiele die einstige deutsche Trennung überhaupt keine Rolle: Für sie sind die Erinnerungen an die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit noch immer bestimmend.

Die Epoche der Teilung könnte eine Generation später wieder zum Thema werden...


Siegfried Denzel


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