| EKD

Sie halfen Juden bei der Flucht

Ab 1943 organisierten Theodor Dipper und andere die württembergische Pfarrhauskette

Als in Nazideutschland die systematische Deportationen jüdischer Einwohnerinnen und Einwohner begannen, deren im November immer wieder gedacht wird, entstand in Württemberg eine so genannte Pfarrhauskette. Ihr Ziel war es, Menschen jüdischen Glaubens, aber auch anderen, auf der Flucht zu helfen. Kirchenrat Dr. Joachim Hahn erinnert daran:

Die württembergische Pfarrhauskette sicherte auch Max und Karoline Krakauer das Überleben. Hier Aufentshaltorte ihrer Flucht.Joachim Hahn / EMH

1940/41 begannen überall in Deutschland die systematischen Deportationen der im Land noch lebenden jüdischen Einwohner. Deutschland sollte möglichst schnell „judenfrei“ werden. Einigen hundert jüdischen Personen gelang es, den drohenden Verhaftungen zu entkommen. Sie lebten versteckt oder waren innerhalb Deutschland ständig auf der Flucht in Deutschland. Sie bekamen da und dort Hilfe von einzelnen Menschen oder Familien, die sich freilich dadurch selbst in größte Lebensgefahr brachten.


Kirchenrat Dr. Joachim Hahn ist Pfarrer und Autor etlicher Publikationen zur Geschichte der Juden in Südwestdeutschland. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Obermayer German Jewish History Award ausgezeichnet. Für seine Verdienste um den Christlich-jüdischen Dialog erhielt er die Otto-Hirsch-Medaille.


Viele Pfarrer der Kette gehörten der Bekennenden Kirche an

In Württemberg entstand in dieser Zeit die Württembergische Pfarrhauskette — mit dem Ziel, jüdischen und anderen verfolgten Personen auf der Flucht zu helfen. Ihre Mitglieder waren Pfarrer sowie Pfarrfrauen, deren Männer oft im Krieg eingezogen waren, aber auch andere kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und weitere Personen. Sie standen untereinander in Kontakt und tauschten dabei verschlüsselte Botschaften aus. Viele der Pfarrer waren Mitglieder der Bekennenden Kirche oder standen ihr zumindest nahe.

Eine Gedenktafel am Theodor-Dipper-Platz vor der Kirche in Reichenbach erinnern an den Pfarrer und seine Frau Hildegard. Joachim Hahn / EMH

Organisiert wurde die Pfarrhauskette 1943 bis 1945 vor allem von Pfarrer Theodor Dipper in Reichenbach an der Fils. Er selbst war bereits im KZ Welzheim inhaftiert gewesen und seit 1937 mit einem Redeverbot belegt.

Bekannte Vertreter der Pfarrhauskette waren die Pfarrer Eugen Stöffler (Köngen), Richard Gölz (Wankheim), Otto Mörike (Flacht) wie auch die Pfarrfrauen Elisabeth Goes (Ehefrau von Pfarrer Albrecht Goes in Gebersheim), Hildegard Spieth (Ehefrau von Pfarrer Helmut Spieth in Stetten im Remstal) sowie zahlreiche weitere Menschen. Viele von ihnen wurden nach dem Krieg für ihren Einsatz ausgezeichnet, teilweise von der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu „Gerechten unter den Völkern“ ernannt.

 

Max und Karoline Krakauerwaren verbrachten 27 Monate in 66 Häusern bis zur Befreiung.Calwer Verlag / EMH

Befreiung nach 27 Monaten in 66 Häusern

Unter den durch die württembergische Pfarrhauskette Geretteten war das jüdische Ehepaar Karoline und Max Krakauer. Es war im Januar 1943 der Deportation in Berlin entkommen und konnte durch Vermittlung von Berliner Pfarrern zunächst in Brandenburg und Pommern, ab August 1943 dann in Württemberg versteckt leben. Die beiden wurden als nichtjüdische Bombengeschädigte Hans und Grete Ackermann aus Berlin ausgegeben. Dennoch waren sie immer wieder der Entdeckung nahe, da mehrere der Pfarrhäuser unter ständiger Beobachtung durch die Gestapo standen.


Als wichtigstes literarisches Zeugnis zur württembergischen Pfarrhauskette gilt das erstmals 1947 erschienene und seitdem mehrfach aufgelegte Buch von Max Krakauer: „Lichter im Dunkel. Flucht und Rettung eines jüdischen Ehepaares im Dritten Reich“ im Calwer Verlag.


So mussten Karoline und Max Krakauer immer wieder an neuen Orten untergebracht werden. Verstecke gab es in Pfarrhäusern, in Kirchen oder in Privathäusern. Mitglieder der Gemeinden halfen heimlich mit Lebensmitteln oder stellten Lebensmittelkarten zur Verfügung. Nach 27 Monaten in 66 verschiedenen Häusern kam schließlich der Tag der Befreiung durch amerikanische Truppen in Stetten im Remstal.

Karoline und Max Krakauer lebten nach dem Krieg in Stuttgart. Außer ihnen sind die Namen von weiteren 17  bekannt, die durch die Hilfe der Württembergischen Pfarrhauskette die NS-Zeit überlebt haben.


Joachim Hahn

Mehr News

  • Datum: 19.04.2024

    „Konfirmanden ist Glaube wichtiger als Geschenke“

    Frontalunterricht gibt es kaum noch im Konfi-Unterricht, sagt Prof. Dr. Wolfgang Ilg von der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg im Interview. Die Konfi-Arbeit sei nach wie vor das Angebot mit der größten Reichweite in der Evangelischen Kirche.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.04.2024

    „Kirche mit Kindern“ ist einfach lebendig

    Vom Kindergottesdienst zu einer Kirche für die ganze Familie: Lebendiger und spannender Gottesdienst mit neuen Herausforderungen. Wir haben Sabine Foth gefragt, wie sich die Kirche mit Kindern zu einer Familienkirche gewandelt hat und was ihr an der Arbeit besonders gefällt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 18.04.2024

    Video: Multitalent mit Down-Syndrom

    Tamara Röske hat viele Talente: Schauspielern, Modeln und Leichtathletik – trotz Handicap. Die 28-Jährige hat das Down-Syndrom. Wie bringt sie alles unter einen Hut? Darüber spricht sie zusammen mit ihrer Mutter Antje mit „Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb.

    Mehr erfahren
  • Datum: 17.04.2024

    „Der Segen Gottes gilt uns allen“

    Mit einem Gottesdienst in der Klosterkirche Mariaberg bei Gammertingen hat am 13. April die ökumenische Woche für das Leben begonnen. Sie stellt unter dem Motto die Lebenswirklichkeiten Jugendlicher und junger Erwachsener mit Behinderungen in den Mittelpunkt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Innovationstag: Jetzt anmelden!

    Frische Ideen fürs Gemeindeleben: Unter dem Motto „#gemeindebegeistert – Kirche lebt, wo dein Herz schlägt“ veranstaltet die Landeskirche am 4. Mai einen großen Innovationstag. In Projektpräsentationen und Workshops gibt’s Austausch und Tipps. Jetzt anmelden

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Segen, Mut & Traubenzucker

    In diesen Wochen stehen an vielen Schulen Abschlussprüfungen an - für Schülerinnen und Schüler eine stressige Zeit. Die Ev. Jugendkirche Stuttgart macht mit einem speziellen PrüfungsSegen Mut und stellt auch anderen Gemeinden Materialien zur Verfügung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Digitaler Notfallkoffer für die Seele

    Hilfe in persönlichen Krisenmomenten bietet die KrisenKompass-App der Telefonseelsorge fürs Handy und Tablet. Sie bietet Unterstützung, um schnell wieder auf positive Gedanken zu kommen oder bei Bedarf rasch professionelle Hilfe finden zu können.

    Mehr erfahren
  • Datum: 16.04.2024

    Zum 200. Todestag von Beata Regina Hahn

    Vor 200 Jahren starb Beata Regina Hahn, die zweite Ehefrau des Mechanikerpfarrers Philipp Matthäus Hahn, Tochter von Johann Friedrich Flattich und Mutter der Schulgründerin Beate Paulus. Als Herausgeberin von Hahns Schriften prägte sie dessen Bild für viele Jahre.

    Mehr erfahren
  • Datum: 15.04.2024

    „Wir beten, dass die zerstörende Gewalt ein Ende nimmt“

    Die Landeskirchen in Württemberg und Baden haben den Jüdinnen und Juden im Land Grüße zum Pessach-Fest übersandt. Darin nehmen Landesbischof Gohl und Landesbischöfin Springhart Bezug auf den Angriff der Hamas wie auch auf den Raketenangriff des Iran auf Israel.

    Mehr erfahren
  • Datum: 15.04.2024

    Hoffnung wird durch Menschen vermittelt

    Bei einer religionspolitischen Tagung der SPD-Bundestagsfraktion am 12. April in Berlin unter dem Titel „Mehr Zuversicht! Mit Hoffnung die Zeiten wenden“ betonte Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl, wer die Verwurzelung in Jesus Christus spüre, werde für andere zur Hoffnung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 13.04.2024

    Landesbischof Gohl: "Wir stehen an der Seite Israels"

    "Der Angriff des Iran bedroht die Existenz Israels. Wir müssen daran erinnern, dass alles mit dem Pogrom der Hamas an Israel begann." Gohl weist weiterhin auf die israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas hin.

    Mehr erfahren
  • Datum: 12.04.2024

    Klassik und Pop Hand in Hand

    Die Evangelische Hochschule für Kirchenmusik in Tübingen hat schon früh einen Studiengang für populare Kirchenmusik eingerichtet und war damit in der EKD Vorreiter. Prof. Thomas J. Mandl und Prof. Patrick Bebelaar erklären, was das Besondere an der HKM ist.

    Mehr erfahren
Mehr laden