| Gesellschaft

Raus aus der Schule, rein ins Leben

Freiwilligendienste in Diakonie und Kirche

Reutlingen/Pfullingen. Essen an Senioren liefern, im Kindergarten helfen, Menschen mit Behinderungen pflegen oder in der Jugendarbeit tätig sein: Viele junge Menschen entscheiden sich nach ihrem Schulabschluss, ein Jahr Lebenszeit der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen und im Freiwilligendienst zu arbeiten. So wie Amrie Haap, die derzeit ein Freiwilliges Ökologisches Jahr bei der BruderhausDiakonie in Reutlingen absolviert.

Einsatz im Hofladen: Amri Haap absolviert ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) auf dem Hofgut Gaisbühl der BruderhausDiakonie in Reutlingen.EMH/Dilg

„Hm, die sind süß“, sagt Amrie Haap. Und schiebt sich schnell noch eine Brombeere in den Mund. Es ist Beerenzeit auf dem Biolandhof Gaisbühl in Reutlingen.

Zwischen den Brombeerbüschen: Erntehelfer unterschiedlichen Alters in Arbeitsklamotten. Sie gehören zu den Klienten des Hofes der BruderhausDiakonie. Viele haben eine Behinderung oder leiden an psychischen Erkrankungen. Angeleitet werden sie von ihren Gruppenleitern sowie jungen Männern und Frauen, die ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) absolvieren. Eine der FÖJlerinnen ist Amrie Haap aus Pfullingen.

Natur und Menschen

„Ich wollte nach meinem Abitur etwas machen, wo ich viel draußen sein kann“, berichtet die 20-Jährige. Über ihre Mutter, die bei der BruderhausDiakonie beschäftigt ist, erfuhr sie von dem FÖJ auf dem Gaisbühl. Was schaffen, auf dem Acker stehen, dreckig werden und mit Menschen zu tun haben – „Eine ideale Kombination“, sagt Amri.

Derzeit arbeiten etwa 40 Klienten auf dem Biolandhof. Die meisten Beschäftigten leiden unter Depressionen, Borderline-Störungen oder Schizophrenie. Andere haben eine geistige Behinderung. „Wir passen die Arbeit an die Menschen an“, erklärt der Leiter der Gemüsebaugruppe, Alexander Badowski.

Arbeit im Freien hilft

Gerade die Arbeit im Freien helfe psychisch kranken Menschen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. „Die Aufmerksamkeit wird durch die Tätigkeit nach außen gelenkt“, erklärt der 59-jährige Heilerziehungshelfer und Gärtner. Erde und Pflanzen spüren, Obst und Gemüse ernten, den Duft der Blumen riechen, die Farben wahrnehmen – all das sei sehr gesundheitsfördernd. „Ich habe schon oft erlebt, dass sich Psychotiker hier wieder ganz gut stabilisieren“, sagt Badowski.

Zwei weitere Gruppenleiter kümmern sich um den Betrieb der Hofladen-Gruppe und der Obstbau-Gruppe. Amrie gehört eigentlich zur Hofladen-Gruppe. Doch wenn Not am Mann ist, ernten sie und ihre Kolleginnen und Kollegen auch Rote Beete und Sellerie, pflücken Äpfel oder sammeln die Beeren von den Büschen.


Die Diakonischen Werke in Württemberg und in Baden sind zwei Träger für Freiwilligendienste in Baden-Württemberg. Sie vermitteln Bewerberinnen und Bewerber in ihre Einsatzstellen vor allem im diakonischen und kirchlichen Bereich, führen begleitende Seminare durch und kümmern sich um die Freiwilligen im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) und Bundesfreiwilligendienst (BFD) während ihrer gesamten Einsatzzeit.


Thekendienst im Hofladen

Dienstags und freitags hat allerdings der Hofladen Vorrang. Da steht Amrie um 7 Uhr mit ihrer Gruppe im Laden und richtet das Obst und Gemüse für den Verkauf her, schreibt Preistafeln, holt Salat aus dem Kühlhaus, sortiert Äpfel in die Kisten und holt Kartoffeln aus dem Keller. Ab 14:30 Uhr hat der Laden dann geöffnet. Davor gibt es einen Stand mit Obst.

Es kommen Stammkunden, darunter viele junge Familien, die die Grünflächen rund um den Hof genießen. Während sich die Eltern an den Tischen vor dem Laden über Kaffee und Kuchen hermachen, buddeln die Kinder in der Sandkiste, sagen den beiden Alpakas „Guten Tag“ oder jagen den Hühnern hinterher, die gackernd auf dem Hof herumscharren

Geduld lernen

So idyllisch der Hof in der Sommersonne auch wirkt, die Arbeit dort ist für die Freiwilligen jeden Tag eine Herausforderung. Immer wieder müsse man sich auf neue Situationen einstellen, beschreibt Amrie. Einige Kolleginnen und Kollegen hätten geistige Behinderungen, könnten nicht lesen und schreiben, andere sind körperlich eingeschränkt und können keine Kiste alleine tragen.

Viele haben psychische Erkrankungen, die sich je nach Tagesform unterschiedlich oder gar nicht äußern. „Man muss die Leute schon gut kennenlernen, um einschätzen zu können, was man ihnen zutrauen kann“, sagt die 20-Jährige. So habe sie einmal mit einem behinderten Kollegen geübt, den Laden sauberzumachen. „Es war für ihn ganz schwierig, auch in den Ecken zu wischen“, erzählt Amrie und lacht bei der Erinnerung. Irgendwann hätten sie es dann gelassen. „Man braucht schon viel Geduld.“

„Cool, ich kann das!“

Der Einstieg in das Freiwilligenjahr war für die junge Frau nicht leicht: Am Anfang sei sie oft überfordert gewesen, berichtet Amrie. Vor allem, weil sie bisher noch keine Erfahrungen mit Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen gemacht hatte.

„Ich hatte doch Vorbehalte  diesen Menschen gegenüber“, gibt sie zu. Nach einer sorgfältigen Einarbeitung und inzwischen elf Monaten als FÖJlerin auf dem Gaisbühl sind die innere Unsicherheit und Überforderung verschwunden. „Heute denke ich oft: Cool, ich kann das“, sagt Amrie und lacht.

Sie sei stolz darauf, durchgehalten zu haben - auch nach einem Durchhänger im Winter. „Ich kann mir jetzt vorstellen, wie das Arbeitsleben aussehen wird, was von mir erwartet wird“, meint sie.

„Ich habe hier sehr viele positive Erfahrungen gemacht“, bilanziert die 20-Jährige – Erfahrungen, die ihr bei ihrer Hebammenausbildung, die sie im Oktober beginnen wird, zugutekommen. „Ich habe hier Sicherheit gewonnen und die Zuversicht, dass ich es auch in Zukunft gut hinkriegen werde.“

Ute Dilg


Derzeit arbeiten 142 Freiwilligen bei der BruderhausDiakonie. Sie absolvieren ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) oder den Bundesfreiwilligendienst (BFD) für Menschen über 27. Ihre Einsatzbereiche sind in der Behinderten-, Alten- und Jugendhilfe sowie im Bereich Arbeit und beruflicher Bildung. Dazu gehören Werkstätten für Menschen mit Behinderungen oder psychische Erkrankungen, Landwirtschaft und Tierpflege).

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