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Nach dem Willkommen mit Flüchtlingen auch Schweres durchstehen

Aufruf zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2017: dranbleiben an der Integration

Stuttgart. Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni rufen die Evangelische Landeskirche und die Diakonie in Württemberg dazu auf, auch in der Phase der Integration von Flüchtlingen Engagement zu zeigen und mit ihnen auch schwierige Erfahrungen durchzustehen.

„Die Kirchen wissen, dass Flucht, Vertreibung, Terror, Krieg, wirtschaftliche Not, Klimaveränderung, Missachtung der Menschenrechte und der freien Religionsausübung zum Alltag der Welt gehören. Sie glauben und bekennen, dass immer dort neu Heimat entstehen kann, wo Menschen sich um Gott und in seinem Namen versammeln und deshalb für den Nächsten eintreten“, betont der württembergische Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July. „Wenn wir sagen, dass wir eine flüchtlingsbereite Kirche sein wollen, dann heißt das: um Jesu Christi Willen den Nächsten zu sehen und für seine Rechte und Würde einzutreten.“

„Wir haben uns über die vielen Menschen gefreut, die sich spontan und tatkräftig für Unterkunft, Nahrung und ärztliche Versorgung für Geflüchtete eingesetzt haben“, sagt Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg, „aber jetzt braucht es Menschen, die da sind und unterstützen, wenn seelische Traumata aufbrechen oder Familiennachzug und Bleibemöglichkeit un-gewiss sind.“

Ehrenamtliche sind neuen Belastungen ausgesetzt, wenn die von ihnen begleiteten Flüchtlinge Abschiebebescheide bekommen. „Unsere Kontaktstellen für psychosoziale Beratung erleben bei Ehrenamtlichen große Wut und Enttäuschung über juristische Entscheidungen, die sie nicht nachvollziehen können“, sagt Kaufmann. Weiteres wichtiges Thema sei jetzt auch die Familienzusammenführung. Die Erlebnisse reichen von unerträglichem Warten bis hin zur Einsicht, dass die Ehe den Herausforderungen des hiesigen Lebens nicht standhält. Allein eingereiste junge Flüchtlinge holen Familien nach und sind plötzlich mitverantwortlich für die ganze Familie. „Flüchtlinge mit einer längeren Bleibeperspektive müssen unbedingt Zugang zu den schon vorhandenen Strukturen der Beratung finden“, sagt Kaufmann.

July und Kaufmann fordern von der Politik Rahmenbedingungen für Schutz und Teilhabe geflüchteter Men-schen. „Es bedarf fairer, rechtsstaatlicher und zügiger Asylverfahren sowie Strukturen, die ein selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Leben ermöglichen.“ Allen Flüchtlingen solle der Zugang zu qualifi-zierten Sprachkursen, zu Arbeit und Ausbildung ermöglicht werden.  Das zivilgesellschaftliche Engagement brauche Würdigung und nachhaltige Begleitung. Ein Klima des Miteinanders erfordere eine Politik, die den Schutz der Geflüchteten im Sinne des Grundgesetzes sicherstellt und einer Spaltung der Gesellschaft ent-gegenwirkt.

Die kirchlich-diakonischen Angebote sind bewusst auch auf die Begleitung von Flüchtlingen nach der ersten Phase des Ankommens ausgerichtet. In Schwäbisch Hall beispielsweise gab es eine Schulung für Ehrenamtliche zur Begleitung der Geflüchteten, die Traumata erlitten haben. Ein anderes Projekt hat die Be-gleitung traumatisierter Flüchtlinge zur Aufgabe. Berufliche Perspektive vermitteln die Lernwerkstatt Welz-heim oder die Nähwerkstatt in Sulz.

Säulen kirchlich-diakonischer Flüchtlingsarbeit in Württemberg sind die beiden Asylpfarrämter in Stuttgart und Reutlingen, die beiden Flüchtlingsdiakonate in den Prälaturen Heilbronn und Ulm, die mobilen Kon-taktstellen für psychosoziale Beratung in den Großräumen Reutlingen/Ulm und Rems-Murr-Kreis sowie die Beauftragten für Asyl und Migration in den 48 Kirchenbezirken und 52 Koordinierungsstellen zur Begleitung von ehrenamtlich Engagierten in der Flüchtlingsarbeit mit Kontakt zu 14.000 Ehrenamtlichen. Die Diakonie ist in der Flüchtlingsberatung und in der Verfahrens- und Sozialberatung in den Landeserstaufnahmestellen tätig.

Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche