| Kirchenjahr

Wenn der Tod zum Alltag gehört

Für Pfarrerin Roos sind Beerdigungen ein wichtiger Teil ihres Berufs

Viele Menschen meiden es, über das Sterben zu sprechen. Für Pfarrer und Pfarrerinnen stellt der Tod einen wesentlichen Bestandteil ihres Berufsalltags dar. Wie fühlt es sich an, ständig mit Sterben und Trauernden konfrontiert zu werden? Pfarrerin Katharina Roos hat Marie Neumann anlässlich des Ewigkeitssonntags einen Einblick in diesen Teil Ihres Berufes gewährt.

Pfarrerin Katharina RoosNeumann/EMH

Der Regen tropft auf das Gras, auf die schwarzen Schirme der kleinen Menschengruppe vor der Kapelle, auf die grauen Grabsteine. Anna Müller* ist gekommen, um von ihrer verstorbenen Mutter Petra* Abschied zu nehmen. Sie war 92 Jahre alt, ihr Tod kam nicht überraschend. „Objektiv betrachtet ist der Tod eines älteren Menschen natürlich, aber für eine Tochter oder einen Sohn ist es eine Katastrophe, wenn ihre Mutter stirbt“, sagt Pfarrerin Katharina Roos, die den Trauergottesdienst hält. 

Mindestens zwanzig Trauerfeiern hält Katharina Roos jedes Jahr und doch ist dieser Teil ihres Berufes keine Routine. Bei jedem Trauergespräch muss sich die Stuttgarter Pfarrerin auf unterschiedliche Menschen, Todesumstände und Erwartungen der Familie einstellen.

In den meisten Fällen besucht sie die Angehörigen im Trauerhaus, dem Haus der Verstorbenen. „Vor allem wenn ich die Verstorbenen nicht kenne, mache ich das gern“, sagt sie. „Ich kann mir dann einen besseren Eindruck von dem Menschen machen.“ Roos spricht von den Toten stets in der Gegenwart. Sie verallgemeinert nicht. Auch bei der Trauerfeier von Petra Müller spult sie keine festgeschriebene Liturgie ab. Sie erinnert die Tochter und die anderen Trauergäste an glückliche, persönliche Momente mit der Verstorbenen. „Ich möchte die Trauernden die mitfühlende Art Jesu vermitteln, denn in den dunklen Stunden des Lebens wollen Menschen die Liebe Gottes spüren“, sagt Katharina Roos.

Anna Müller hat Roos im Vorgespräch viel von ihrer Mutter erzählt. Trauergespräche verlaufen allerdings nicht immer so harmonisch. Roos berichtet von Familien, die heimliche Affären oder Alkoholprobleme der Verstorbenen offenbaren. Warum erzählt man solche intimen Details, wenn sie im Trauergottesdienst gar nicht erwähnt werden sollen? Roos vermutet darin ein Bedürfnis der Menschen sich Luft zu machen, um sich mit den Verstorbenen aussöhnen zu können: „Ich halte es da mit dem biblischen Motto ‚Die Wahrheit wird euch frei machen‘“.

In ihrer Traueransprache meidet die Pfarrerin es, über innerfamiliäre Zerwürfnisse zu sprechen. „Ich habe das Bedürfnis, dass der Schluss versöhnlich ist“, sagt Roos. Deshalb bemüht sie sich auch dann positive Worte zu finden, wenn die Familie viele bittere Erinnerungen an den Verstorbenen zurück behält.

Belastend ist es für Katharina Roos, mit Menschen zu tun zu haben, die schon vom Tod gezeichnet sind. Etwa Sarah Herbst*, eine langjährige Kirchgängerin. Sie wandte sich direkt an Roos, als sie von ihrem Arzt erfahren hat, dass sie nicht mehr lange zu leben habe. Viele schwerkranke Menschen erleben in ihrem Umfeld, dass Verwandte ihnen Hoffnung machen möchten, sie könnten doch wieder gesund werden. „Solche lieb gemeinten Worte können für Sterbende sehr anstrengend sein. Sie spüren, dass es mit ihnen zu Ende geht“, sagt Roos. Kein Kind möchte den bevorstehenden Tod der Mutter als Gewissheit betrachten. Bei Katharina Roos kann Sarah Herbst all ihre Ängste offen ansprechen und Einzelheiten ihrer Beerdigung planen, ohne Rücksicht auf die Gefühle der Pfarrerin nehmen zu müssen.

Ich war den ganzen Tag aufgeregt, das ist ein Initiationsritus, den vergisst man nie.

Katharina Roos über ihre erste Trauerfeier

„Ich musste auch lernen, das auszuhalten", sagt Roos. Das falle ihr nicht leicht. Vielen Gemeindemitgliedern steht sie nahe und trauert mit ihnen. „Trotzdem ist mir bewusst, dass ich in solchen Momenten in meiner professionellen Funktion als Pfarrerin gebraucht werde", erklärt sie.

An ihre erste Trauerfeier erinnert sich Roos noch genau: „Ich war den ganzen Tag aufgeregt, das ist ein Initiationsritus, den vergisst man nie.“ Als sie, damals noch Vikarin, den Saal betreten hat war sie völlig aus dem Konzept geworfen. Die Angehörigen der Verstorben lagen sich in den Armen und schluchzten haltlos. „Das hat mich völlig schockiert“, berichtet sie. Dennoch sind ihr emotional aufgeladene Beerdigungen lieber, als lieblose Bestattungen mit zwei bis fünf Gästen. „Es ist für mich unerträglich, wenn ich spüre, dass der Tod eines Menschen für niemanden einen Unterschied macht“, sagt Roos.

Zu Petra Müllers Beerdigung sind viele Menschen gekommen, die Kapelle ist voll. Katharina Roos erzählt von glücklichen Momente aus dem Leben der Verstorbenen, sie spricht über die Trauer der Angehörigen und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Dann dreht sie sich zum Sarg. Die Worte der Aussegnung richtet sie direkt an die Verstorbene, nicht an die versammelten Angehörigen. Roos ist überzeugt, dass es mehr als diese Welt gibt. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod ist in ihr gewachsen, durch die vielen Begegnungen mit den Zurückgelassenen, Sterbenden und den Toten.

Marie Neumann

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.


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