| Gesellschaft

Ein offenes Ohr für Menschen mit HIV und Aids

Die Aidsseelsorge der württembergischen Landeskirche

Am 1. Dezember ist Welt-AIDS-Tag. Seit 1988 gibt es diesen Tag der Solidarität mit den rund 36,7 Millionen Menschen weltweit, die derzeit mit HIV und Aids leben. In Deutschland sind 81.000 Personen von der Immunschwächekrankheit betroffen. Zu wenige, um aufzufallen. „HIV und Aids sind hierzulande aus der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich verschwunden“, sagt der landeskirchliche Aidsseelsorger Eckhard Ulrich im Interview mit Ute Dilg.

Aidsseelsorger Eckhard Ulrichprivat

Warum braucht es überhaupt spezielle Aidsseelsorger?
HIV und Aids sind immer noch stark mit Tabus und mit „anstößigen“ Dingen belegt: früher Tod, Drogengebrauch, eine von der Norm abweichende Sexualität, Promiskuität oder Prostitution. Unterschwellig spielt bei dieser Krankheit immer die Frage der Schuld mit. Wo habe ich mich angesteckt? Wer hat mir das angehängt? Habe ich meinerseits jemand angesteckt? Bei den Betroffenen gibt es oft große Wut, viele Ängste, aber auch die Suche nach Vergebung. Viele kontaktieren in dieser Situation nicht ihren Gemeindepfarrer. Dann sind wir von der Aidsseelsorge für die Menschen da, kümmern uns um ihre spirituellen Bedürfnisse.

Was unterscheidet die Aidsseelsorge von anderen Seelsorgeangeboten der Landeskirche?
Wir haben die Frage der Ausgrenzung stark im Blick. Kaum ein Aids-Kranker oder HIV-Infizierter wird heute noch offen diskriminiert. Denn man sieht die Krankheit in der Regel nicht (mehr). Dennoch haben viele Angst sich zu outen, denn natürlich gibt es immer noch Ausgrenzung. Am Arbeitsplatz oder im Freundes- und Familienkreis. Gerade Heterosexuelle tun sich schwer. Bei ihnen steht die Frage danach, wie und warum er sich angesteckt hat, über allem. Manche erfinden dann andere Probleme, etwa wenn sie wegen irgendwelcher Nebenwirkungen ihrer Therapie öfter am Arbeitsplatz fehlen. Aber auch in der Schwulenszene gibt es soziale Ausgrenzung. 


HIV steht für „Humanes Immundefizienz-Virus“, übersetzt „menschliches Abwehrschwäche-Virus“. Der HI-Virus schädigt die körpereigenen Abwehrkräfte. So kann der Körper eindringende Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze oder Viren nicht mehr bekämpfen. Im schlimmsten Fall treten dann lebensbedrohliche Erkrankungen auf, zum Beispiel schwere Lungenentzündungen. Dann spricht man von Aids, dem sogenannten „Acquired Immune Deficiency Syndrome“ (Erworbenes Abwehrschwäche-Syndrom).

Gegen HIV gibt es heute sehr wirkungsvolle Medikamente. Sie verhindern die Vermehrung des Virus im Blut. Dank dieser Medikamente können die meisten HIV-infizierten Menschen heute lange Zeit mit dem Virus leben, ohne an Aids zu erkranken. Die Medikamente können allerdings in einigen Fällen schwere Nebenwirkungen haben und müssen lebenslang eingenommen werden.


Seit wann hat die Landeskirche Aidsseelsorge? Wie hat sie sich verändert?
Die Aidsseelsorge gibt es seit etwa 25 Jahren. Damals sind HIV-Positive sehr schnell an Aids erkrankt und oft jung gestorben. In der Zeit hatten alle Kirchenbezirke jemanden, der sich um die Betroffenen gekümmert hat. Heute gibt es noch einen Kern von etwa 25 Pfarrerinnen und Pfarrern, die sich auf Bezirksebene im Bereich Aidsseelsorge engagieren. Sie begleiten meist Angehörige von Menschen, die mit HIV leben. Die Infizierten selbst leben oft in Großstädten. Ich selbst bin seit elf Jahren als landeskirchlicher Aidsseelsorger mit einem Stellenanteil von 25 Prozent für die Koordination des Arbeitsbereichs zuständig. Ich halte Kontakt mit den Aids- und Drogenhilfen, der Stadt und den Kolleginnen und Kollegen auf der katholischen Seite. Mit meinen restlichen 75 Prozent bin ich Klinikseelsorger. Das ist eine gute Kombination, auch wenn die meisten HIV-Positiven keine Krankenhauspatienten mehr sind. 

Was bedeutet der Welt-AIDS-Tag für den landeskirchlichen Aidsseelsorger?
Für mich ist dieser Tag ein „Höhepunkt“ im Jahr, wenn man das so nennen kann. Am 1. Dezember selbst sowie davor und danach gibt es viele Veranstaltungen zum Thema HIV und Aids. Ich selber organisiere zusammen mit der katholischen Aidsseelsorge einen Gottesdienst in der Stuttgarter Leonhardskirche, bei dem Betroffene, Therapeuten und Helfer zusammenkommen und sich austauschen. Besonders eindrücklich ist dabei ein Kerzengang, bei dem Angehörige und Freunde um ihre Verstorbenen trauern können. Viele haben keinen Ort für ihre Trauer oder generell für ihre Anliegen. HIV und Aids sind aus der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich verschwunden. Dabei gibt es immer noch viele HIV-Infizierte. Jedes Jahr stecken sich in Deutschland etwa 3.000 Menschen an. Außerdem werden die, die den Virus in sich tragen, dank der Behandlungsmöglichkeiten älter. So steigt die absolute Zahl der Betroffenen.

Mit welchen Sorgen und Anliegen kommen die Menschen zu Ihnen?
Manche Betroffene, die kirchlich sehr gebunden sind, berichten, dass sie sich in ihrer Gemeinde nicht vollständig öffnen können. Vor allem heterosexuelle HIV-Infizierte haben es schwer, weil es nur wenige von ihnen gibt. Sie kommen gerne zu uns, weil wir ein offenes Ohr haben. Bei uns können sie ihre Maske ablegen. Andere brauchen einfach Informationen, etwa im arbeitsrechtlichen Bereich. Hin und wieder fragen Betroffene auch nach materieller Unterstützung. Aber das kommt selten vor. Mein Anliegen ist es, immer wieder auch in den Gemeinden auf HIV und Aids aufmerksam machen. Immerhin leben in Baden-Württemberg etwa 8.000 HIV-Infizierte und Menschen mit Aids. Gut 3.000 davon leben im Großraum Stuttgart. Alle haben Angehörige und Freunde. Diese Menschen sollen wissen, dass die Kirche eine offene Tür für sie hat. 


Am Donnerstag, 1. Dezember, ist Weltaidstag. Die Aidsseelsorge in der Landeskirche Württemberg lädt zu verschiedenen Veranstaltungen ein:

Um 18 Uhr beginnt am Sternplatz in der Tübinger Südstadt eine Gedenkfeier für an Aids verstorbene Menschen. Im Kirchenbezirk Bad Urach-Münsingen beginnt um 19.30 Uhr ein Gottesdienst zum Weltaidstag in der Martinskirche Dapfen. Und in Stuttgart findet um 20 Uhr in die Leonhardskirche ein ökumenischer Gottesdienst mit anschließendem Ständerling statt. Das Motto ist „Gemeinsam Positiv Leben“.

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